Das liebe Geld und die Vergänglichkeit

von Jorge Frey

Der Wirtschaftsaufschwung ist seit über 70 Jahren ungebrochen und wurde genährt von Vorfahren, die wünschten, dass es ihren Kindern und Nachkommen einmal besser gehe. Besser bedeutete damals vor allem materiellen Fortschritt. Dieser Wunsch erfüllte sich auf eindrückliche Art und Weise. In Deutschland, Österreich und der Schweiz gehen mehr Vermögen auf die nächste Generation über als jemals zuvor. Trotzdem glaube ich, dass die meisten entwickelten Länder an einem Wendepunkt stehen und auf die Millennials und die Digital Natives große Herausforderungen zukommen. Um diese zu meistern, brauchen wir das Interagieren und das Aufeinanderzugehen aller Generationen.

Reichtum kann auch eine Last sein

Wie gelingt in wohlhabenden Familien die Übergabe des Vermögens von einer Generation zur nächsten? Ein neues Buch liefert Leitlinien zu dieser Frage.

NZZ – Michael Ferber

Darüber, wie Geld am besten verwaltet wird, gibt es viel Literatur – darüber, wie eine Vermögensübergabe von einer Generation zur nächsten gelingt, deutlich weniger. In einem Land wie der Schweiz, das ein Zentrum der Vermögensverwaltung ist und in dem jedes Jahr zwischen 60 und 70 Milliarden Franken vererbt werden, stellt dies eine Lücke dar. Jorge Frey und Eugen Stamm haben für ihr Buch «Von Geld und Werten» Gespräche mit dreissig Vertretern von vermögenden Schweizer Familien geführt, um Erfolgskriterien für die Vermögensübergabe herauszuarbeiten.

Grosser Erfolgsdruck für die Jüngeren

Das Schlagwort hierbei lautet Family Governance. Dabei geht es laut den Verfassern um die Aufgabe einer vermögenden Familie, «sich darüber zu einigen, wie sie mit ihrem Vermögen umgehen will, was es für sie bedeutet und welchen Zweck es hat». Dieses familiäre Einverständnis soll die Basis für die Verwaltung des Vermögens bilden und bei Konflikten Lösungen ermöglichen.

Normalsterbliche Leserinnen und Leser mögen diese Thematik als Luxusproblem abtun. Doch das Buch zeigt immer wieder anhand von Praxisbeispielen, wie grosse Vermögen Familien auseinanderdividieren können. Reichtum liefert nicht nur Freiheit, sondern kann auch zu einer Last werden. Dies gilt unter anderem für den Nachwuchs.

So ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser so erfolgreich wird wie seine Vorfahren, statistisch gesehen klein, die Erwartungen an ihn sind aber oftmals hoch. Ein Interviewter beschreibt es als Last, dass er als Kind von einem Chauffeur in die Schule gefahren worden sei und nach dem Unterricht im Winter nicht mit den anderen Kindern habe Schlitten fahren können, weil dieser schon auf ihn gewartet habe.

Abschottungs-Trend bei Wohlhabenden

Zwar wachsen in der Schweiz viele Kinder vermögender Familien ähnlich auf wie jene von Familien mit durchschnittlichen Einkommen, doch laut Frey und Stamm ist in den letzten Jahren auch hierzulande mancherorts bei Vermögenden eine Tendenz hin zur Abschottung zu beobachten.

Die beiden Autoren schmücken ihre Ausführungen zu einer guten Family Governance mit allerhand konkreten Beispielen aus. Frey und Stamm liefern einige Leitlinien, wie die Vermögensübergabe gelingen kann. Sie empfehlen vermögenden Eltern, ihre Kinder in normalen Verhältnissen aufwachsen zu lassen, damit diese ihren eigenen Weg gehen können und dieser nicht gleich als rasanter Abstieg empfunden wird. Zudem sollten die Eltern ein Vorbild im sorgsamen Umgang mit Vermögen sein und ihren Nachwuchs im Umgang mit Geld entsprechend ausbilden.

Als wichtig gilt auch eine offene Kommunikation unter den Familienmitgliedern, gegenseitiger Respekt und die Vereinbarung gemeinsamer Werte, die sich möglicherweise in einem Familienleitbild äussern. Des Weiteren sollte die Nachlassplanung frühzeitig erfolgen, die Nachkommen einbeziehen, frei von erzieherischen Massnahmen sein und alle Nachfahren gleich behandeln.

Jorge Frey, Eugen Stamm: Von Geld und Werten. Ungeschriebene Gesetze für eine erfolgreiche Vermögensübergabe. NZZ Libro, Zürich 2019. 176 S., 34 Fr.

Von Geld und Werten

Jorge Frey (1963) hat eine klassische Bankausbildung und arbeitet seit 2006 als Managing Partner bei Marcuard Family Office. Der Jurist Eugen Stamm (1977) schreibt als freier Journalist für die NZZ und NZZ am Sonntag und seit 2018 für die Investmentplattform investiere.ch.

Berater von Family Offices begleiten vermögende Familien unter anderem dabei, wie die Nachkommen auf die Verantwortung eines grossen Erbes vorbereitet werden. Dieser Prozess beinhaltet nicht nur, wie man ein Vermögen verwaltet, sondern auch wie man es weitergibt und mit welchen Werten es verbunden ist. Die beiden Autoren betrachten dasselbe aus verschiedener Perspektive und haben diverse Stimmen aus und für die Praxis gesammelt, um daraus Lehren zu ziehen, von denen alle profitieren können. Wie die Autoren konstatieren, thematisiert das Buch einen relativ kleinen, verschwiegenen Kreis von Familien, die nicht nur wohlhabend sind, sondern so reich, dass die Kosten des Wohlstandes durch die Vermögenserträge gedeckt werden können. Es geht ihnen hier aber weniger um technische Details der Nachlassplanung, sondern um weiche Faktoren wie Emotionen und psychologische Sachverhalte.

Dazu haben die Autoren viele Interviews mit Kunden von Family Offices geführt und das Resultat in zehn Kapiteln auf knapp 160 Seiten zusammengefasst. Sie sehen es als ein meritokratisches Prinzip in der Schweiz, dass «Leistung und unternehmerischer Erfolg Einkommen legitimieren». Hat ein ererbtes Vermögen aber einen zu starken Einfluss auf Identität und Lebensinhalt, bestehe die Gefahr, einen wichtigen Teil seines Lebensglückes zu verlieren, so die Autoren. Zu viel Geld könne auch zu Isolation führen. «Baue einen längeren Tisch, um andere einzuladen, nicht höhere Mauern, um sie fernzuhalten» so das Autorenduo. Niemand möchte Knecht seines Besitzes werden, aber welche materiellen Werte braucht es, um glücklich zu sein? Nachkommen erwerben Vermögen verbunden mit Erwartungen. Geld zu besitzen heisst, Möglichkeiten zu haben. Aber zu viele Wahlmöglichkeiten zu haben, könne auch paralysierend wirken.

Heute fristen viele Nachkommen reicher Familien ein «Leben im Wartesaal» – denn die Erbschaft kann meist erst angetreten werden, wenn sie selber schon in Pension sind (Prinz Charles Effekt). Und in der Schweiz werden jährlich 60 – 70 Milliarden Franken vererbt. Die Autoren betonen, wichtig seien Transparenz und eine offene Kommunikation: Schliesslich habe man nur so lange man lebe, die Möglichkeit, seine Entscheidungen zu begründen und zu besprechen. Aber eine vorzeitige Vermögensübergabe sei halt oft mit einem Bedeutungs- und Machtverlust verbunden. Materielle Geschenke können Ausdruck von Liebe sein, aber umgekehrt auch als Mittel von Kontrolle oder Beeinflussung wahrgenommen werden.

Was braucht die Schweiz, damit das ausgeprägte Unternehmertum erhalten bleibt? Grosser Wohlstand kann schliesslich auch den Ehrgeiz ersticken. Die Autoren empfehlen, den Nachwuchs nicht zu rasch an die Verantwortung, die grosses Vermögen mit sich bringt, heranzuführen. Eine Liste von Daniell und Hamilton, in welcher Alterskategorie welche Fragestellungen im Vordergrund stehen sollen, bildet dafür eine geeignete Grundlage.

Ein Governance-Berater kann helfen, dass Familienmitglieder zusammenkommen und eine eigene, gemeinsame Lösung finden. Seitens Berater setzt das Demut und Geduld voraus – also typische MediatorQualitäten. Er muss gut zuhören, die richtigen Fragen stellen und Präferenzen und Ziele genau artikulieren können. Auch dazu gibt’s eine Liste mit bewährten Fragen. Die steuerliche und rechtliche Nachlassplanung ist davon zu trennen. Die Honorarsätze würden sich zwischen 200 – 600 CHF bewegen, so die Autoren.

Viele (anonymisierte) Praxisfälle zeigen, welche Fehler zu vermeiden sind und wie ein «Familienleitbild» bei diesem Prozess helfen kann. Es soll nicht einengen, sondern handlungsanleitenden Charakter, ja vielleicht auch philantropische Kraft besitzen.

Insgesamt ein zeitgemässes und aufschlussreiches Buch – ein konkreter Nutzen für die Finanzplanung von wohlhabenden Kunden erschliesst sich nicht auf den ersten Blick. Aber er öffnet einem die Augen für übergeordnete Fragestellungen, die ebenfalls für eine langfristige Planung zu berücksichtigen sind. Topaktuell auf die Schweizer Verhältnisse bezogen und praxisbezogen – eine klare Lese-Empfehlung! «Wealth comes like a turtle and goes away like a gazelle.»

© Reto Spring Dipl. Finanzplanungsexperte NDS HF, CFP® Präsident Finanzplaner Verband Schweiz, Zollikon

1 Jorge Frey / Eugen Stamm (2019), Von Geld und Werten. Ungeschriebene Gesetze für eine erfolgreiche Vermögensübergabe. NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe, Zürich, ISBN 978-3-03810-403-2