NZZ – Eugen Stamm

Über Geld sollte man unbedingt reden – zumindest mit all jenen, denen man es weitergibt. Es geht nicht nur darum, schädlichen Streit zu vermeiden, sondern auch darum, Werte weiterzugeben.

Wer seine Kinder liebt, will ihnen möglichst viel mitgeben. Die Logik, dass mehr auch zwingend besser ist, wird selten hinterfragt. Ist ein Haus nicht besser als keines, sind fünf Millionen nicht besser als bloss eine? Manchmal geht vergessen – weil so viel Energie in die Mehrung des Geldes geht –, dass ein schlecht vorbereiteter Vermögenstransfer eine Familie zu entzweien vermag. «Eltern im Himmel, Nachkommen vor Gericht», sagt ein chinesisches Sprichwort. Julia Friedrichs schreibt in ihrem Buch «Wir Erben», dass in Deutschland um jede vierte Erbschaft von mehr als 100 000 Euro gestritten werde. Roy Williams und Vic Preisser gehen in «Preparing Heirs» davon aus, dass sogar 70% der Vermögenstransfers scheitern, also ungewollt Gelder verloren gehen. Wie kann das möglich sein?

Auswirkungen abschätzen

Je grösser ein Vermögen, desto grösser ist in der Regel auch der Bedarf an Beratung in finanziellen, steuerlichen und rechtlichen Fragen. Wenn manche Familienmitglieder auch noch, wie immer häufiger, in verschiedenen Ländern leben, arbeiten und investieren, werden diese Fragen noch komplizierter.

Für alle technischen Aspekte des Themas Erben stehen gut ausgebildete Berater bereit, die Vermögen zu strukturieren und zu organisieren wissen. Die Fehlerquellen liegen selten bei ihnen. Konflikte entstehen meist dann, wenn emotionale Themen in einer Familie ignoriert werden. Anders gesagt: Ein Anwalt hilft dabei, Testamente ohne Formfehler aufzusetzen. Aber hat man sich auch genügend damit auseinandergesetzt, was die formulierten Bestimmungen bei den Erben auslösen? Es sei unrealistisch, zu erwarten, dass man mit einem Testament die Prioritäten der Erben bestimmen könne, schreiben Williams und Preisser, und ausserdem sei dieses Ansinnen der Einheit der Familie nicht zuträglich. Vom enttäuschten Erben bis zum Kläger ist es nur ein kleiner Schritt.

Eines der schädlichsten Dinge, die ein Elternteil tun könne, sei es, Vermögen ungleich zwischen den Kindern aufzuteilen, schreibt Philip Marcovici in «The Destructive Power of Family Wealth». Es mag Konstellationen geben, wo Sachzwänge dies rechtfertigen, aber dann sollten diese diskutiert werden. Ganz allgemein gilt es, von seinem Recht, Dinge zu bestimmen, nicht in einer einsamen Stunde Gebrauch zu machen, sondern die Aufteilung der Güter mit den Begünstigten zu besprechen.

Grosse Summen zu erben, ist ein Schock, auf den man Menschen vorbereiten muss. Wenn jemand erfolgreich berufstätig ist, vielleicht sogar als Unternehmer, was passiert dann mit seinem Selbstwertgefühl, wenn er aus Kapitalerträgen plötzlich zehnmal so viel verdient? Hat er die nötigen Fähigkeiten und das Verständnis, um das familiäre Vermögen zu bewahren, oder wird er es schnell wieder verlieren? Das mag sich nach Luxusproblemen anhören, wie man sie gerne hätte, aber tatsächlich kann Geld eine grosse zerstörerische Wirkung entfalten. Erben, die offenbar weder mit sich noch mit ihrem Vermögen etwas Gescheites anfangen können, sorgen regelmässig für Schlagzeilen.

Die verbreitete Mentalität, ja, das Tabu, über Geld (nicht) zu reden, ist in diesem Kontext schädlich. Denn auch der Besitzer des zu vererbenden Vermögens macht sich Sorgen: Wird der Reichtum den Kindern ihren Antrieb rauben? Gerade dieser Punkt hat in den USA und in anderen Ländern, in denen kein Pflichtteilsrecht existiert, dazu geführt, dass manche ihren Nachkommen nicht zu viel hinterlassen wollen. Vermögen kann auch paranoid machen: Besuchen die Kinder mich im hohen Alter nur noch des Geldes wegen? Dass solche Gedanken aufkeimen, kann man durch Offenheit im Umgang eindämmen. Wenn allen Erben klar ist, wer wann wie viel bekommt, so schreibt Marcovici, dann kann der Erblasser die letzten Jahre seines Lebens geniessen, ohne dauernd an Geld denken zu müssen – und damit auch die Gefahr verringern, zu Änderungen des Testaments gedrängt zu werden, wenn er gebrechlich und schwach wird.

Family-Governance als Lösung

Von den Familien mit den höchsten Vermögen kann man lernen, wie sie die emotionalen Aspekte anpacken. Angeführt von Beratern in den USA, hat sich eine Disziplin entwickelt, die «Family Governance» heisst. So, wie die Corporate Governance die gute Unternehmensführung zum Ziel hat, will man hier die Geschicke von Familien steuern. Ein brauchbarer deutscher Begriff, unter dem alle dasselbe verstehen, hat sich noch nicht etabliert. Man könnte von einem «Familienkonzil» reden, einer regelmässigen Zusammenkunft aller Familienmitglieder, bei der finanzielle Aspekte diskutiert werden und anderes, was die Familie zusammenhält.

In der Regel leitet ein externer Spezialist diese Treffen. Es geht darum, die Familie anzuleiten, in einem strukturierten, moderierten Prozess. Er soll bei den Anwesenden Verbindlichkeit und Klarheit schaffen über das, was der Einzelne erwarten kann und was wiederum von ihm erwartet wird. Weil solche Treffen Beratern Zugang zur nächsten Generation verschaffen, reklamieren verschiedene Berufsgattungen für sich, dieses Thema zu beherrschen – seien es Anwälte oder Banker –, auch wenn die eingesetzten Methoden eigentlich aus der Psychologie stammen.

Wie das konkret funktioniert, zeigt das Beispiel einer Familie, deren Mitglieder sich mehrmals pro Jahr, auch samstags, in den Büros des Marcuard Family Office in Zürich treffen. Diese Firma betreut mehrheitlich Familien, die mindestens zweistellige Millionenbeträge besitzen. Am Anfang des Prozesses stehe eine Diskussion über Werte, erläutert Jorge Frey, Managing Partner von Marcuard.

Was verbindet die Menschen, ist ihnen Tradition und Sicherheit wichtig oder Innovation und Risiko? Welche Werte hat die Elterngeneration den Söhnen und Töchtern im Umgang mit Geld vermittelt? Dass es wichtig ist, der Gesellschaft etwas zurückzugeben? Oder dass andere auch reich sein könnten, wenn sie nur hart arbeiteten?

Oftmals komme es zu Überraschungen, wenn jemand etwas sage, was die anderen nicht vermutet hätten, und es dann heisse: Ich wurde nie danach gefragt. Es klingt trivial, an einem Tisch über den Stellenwert des Geldes zu reden. Aber um die Frage zu beantworten, wie Geld angelegt werden soll, welche Anlageklassen dem Sicherheitsbedürfnis der Familie entsprechen, sind solche Diskussionen elementar. Die Rolle des Moderators besteht darin, jeder Person eine Stimme zu geben. Man sollte zum Patriarchen oder zur Matriarchin ein gutes und vertrauliches Verhältnis haben, dürfe aber von den anderen nicht als deren Sprachrohr wahrgenommen werden, sondern vielmehr als neutraler Moderater, sagt Frey.

Wie Barbara Hauser, Spezialistin für Family-Governance an einem Vortrag des Europa-Institutes in Zürich erläuterte, umfasst die Family-Governance oftmals auch das Schreiben einer Familien-Verfassung, eines Dokumentes, das in groben Zügen festhält, wo eine Familie herkommt und wo sie hinwill. Es bestimmt aber auch Handfestes, etwa, welche Bedingungen für die Arbeit in einem Familienunternehmen erfüllt sein müssen, ob eingeheiratete Personen an den Familiensitzungen teilnehmen dürfen und zig andere Details.

Noch wichtiger als das Papier an sich sei jedoch sein Entstehungsprozess, sagt Hauser. Die gemeinsame Arbeit der Familie an der Verfassung sei schon ein verbindender Prozess. Häufig, so hat Frey beobachtet, wird der Prozess von der jüngeren Generation angestossen, die meist zahlreicher und auch nicht mehr so eng verbunden ist wie die ältere Generation. Auf jeden Fall dauert so ein Projekt länger; der Beratungsprozess kann ohne weiteres Zehntausende von Franken kosten. Eines ist aber sicher: Wenn man dem Thema Emotionen nicht genügend Beachtung schenkt, dann können Erbstreitigkeiten gewaltigen Schaden anrichten, neben dem dieser Aufwand lächerlich erscheint.

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