NZZ – Eugen Stamm

Die Praxis zeigt, dass ein gemeinsamer Planungsprozess, der die nachfolgende Generation mit einbezieht, die Chancen erhöht, das Erbe zu bewahren.

Kein erfolgreicher Geschäftsmann will wohl mit einer unbedachten Handlung das Familienvermögen aufs Spiel setzen. Aber gerade in familiären Angelegenheiten, wenn Gefühle den Sachverstand ausser Kraft setzen, ist rasch grosser Schaden angerichtet. Ein Beispiel: Zu Lebzeiten schenkt der Vater seinem Sohn eine Immobilie, ohne der Tochter ein Wort davon zu sagen. Sie erfährt erst nach seinem Ableben von der geheimen Transaktion. Verständlicherweise ist sie durch diese Handlung zutiefst gekränkt. Als Folge davon entbrennt ein jahrelanger, äusserst teurer Rechtsstreit zwischen den Geschwistern. Was in diesem Fall der Handlungsgrund des Vaters war, ist für die Allgemeinheit nicht relevant. Die Frage, ob das auch anders geht, hingegen schon.

Geschenk statt Last

In der Praxis finden sich haarsträubende Beispiele dafür, wie Menschen ihren Liebsten das Erben zur Last machen. Der geschiedene Vater etwa, der seine neue, junge Freundin heiratet und sie damit zur gesetzlichen Erbin macht – das Ganze hinter dem Rücken seiner erwachsenen Kinder, weil Ärger ausbräche, wenn sie es erführen. Solche Geheimniskrämerei garantiert einen späteren Erbstreit. Oder der Ehemann, der sehr bescheiden mit seiner Gattin lebt, ohne dass diese die geringste Ahnung von seinem Millionenvermögen hat. Als sie nach seinem Tod davon erfährt, ist sie durch diese Lebenslüge so schockiert, dass sie mit all dem Geld nichts anzufangen weiss. Eine Erbschaft, die man sich im Allgemeinen als wunderbares Geschenk vorstellt, verkehrt sich in solchen Situationen zu einer schmerzhaften Ungerechtigkeit, die zu lächerlichem Geld geronnen ist.

Wie man sein Vermögen durch Geldanlage mehrt oder ein Testament verfasst, dazu findet man Anleitungen genug. Was ist aber mit der Frage, wie man Menschen auf Vermögen vorbereitet? Braucht es das überhaupt?

Der Umgang mit diesem Thema ist eine höchst persönliche Entscheidung. Man kann sich sagen: «Mit meinem Eigentum verfahre ich, wie es mir passt! Après moi le déluge.» Ist man hingegen weniger fatalistisch gestimmt, möchte man vielleicht doch mehr weitergeben als nur Millionen – etwa das Wissen darum, wie sie entstanden sind und nach welchen Grundsätzen einem ihre Bewahrung, ihr Einsatz und ihr Verbrauch sinnvoll erscheint. Wird Geld mit gesunden Wertvorstellungen bereichert, dann wird es für die Nachkommen nicht zur Last, sondern gibt ihnen Wurzeln und Flügel, wie die Chinesen sagen.

Skripte zum Umgang mit Reichtum werden, meist unbewusst, so oder so tradiert. Schliesslich bekommen alle von ihren Eltern eine bestimmte Grundhaltung vermittelt, vorgelebt in ihren Handlungen und verdeutlicht in Bemerkungen, die sie fallenlassen. So hört man, dass Sparsamkeit eine Tugend, oder aber, dass nur das Beste gut genug sei; dass man den Armen helfen müsse, oder aber, dass sie auch reich wären, wenn sie sich nur anstrengten. Was der Grundgehalt auch sein mag, dieser Form der Vermittlung mangelt es in ihrer Beiläufigkeit an Reflexion, sie ist etwas anderes als eine Diskussion.

Strukturierte Gespräche

Das geht auch anders. Ein strukturierter Ansatz vermag zuverlässiger zu verdeutlichen, was einem wirklich wichtig ist, und hilft bestenfalls, die Familie zu einen und so späteren Ärger zu vermeiden. Wie man das genau macht, lernt man von sehr vermögenden Sippen.

Diese entdecken nämlich auch in der Schweiz vermehrt das Thema Family-Governance als Instrument der generationenübergreifenden Planung. Typischerweise sind bei solchen Familien nicht nur die Vermögensverhältnisse ziemlich kompliziert, sondern oft auch noch die zahlreichen Angehörigen über den ganzen Erdball verstreut. Ein inniges Gespräch unter dem Weihnachtsbaum tut es in solchen Konstellationen eben nicht mehr.

Ziel der Family-Governance ist, familiäre Einmütigkeit herzustellen. Das bedeutet nicht dasselbe wie Gleichschaltung, schliesslich bedeutet manchen Leuten Geld viel, anderen herzlich wenig. Vielmehr geht es darum, ein breit abgestütztes Selbstverständnis der Familie zu formulieren, im Sinne von: «Unser Name steht für . . .» – manche gehen so weit, das Resultat tatsächlich in einer schriftlichen Familienverfassung festzuhalten.

Wie oft ist aber auch hier der Weg eigentlich das Ziel. In der Praxis gibt es verschiedene spielerische Instrumente, um die Diskussion anzustossen, Spielkarten beispielsweise, die für verschiedene Werte stehen wie etwa: Mitgefühl, Sicherheit, Unabhängigkeit. Nicht selten seien die Leute überrascht, wenn sie sähen, welche Werte enge Verwandte als besonders wichtig bezeichneten, sagt Jorge Frey, der bei Marcuard Family Office solche Diskussionen anleitet. «Ihr habt mich nie gefragt», sagen die eher Schweigsamen dann oft.

Wertbasierte Anlagestrategie

Für den abgebrühten Geschäftsmann mag so ein Prozedere vielleicht nach unnützer Gefühlsduselei oder Gruppentherapie klingen. Allerdings sind Erkenntnisse aus diesem Prozess als Leitlinien für die Vermögensverwaltung wertvoll. Wenn alle voneinander wissen, ob ihnen Sicherheit oder Wagemut wichtiger sind, dann trifft man eine besser informierte Entscheidung, sobald man das Familienvermögen zwischen Staatsanleihen und Startups aufteilt. Die Diskussion hilft auch, die nächste Generation zu schulen, die richtigen Fragen zu stellen. Wenn ihr Nachhaltigkeit und Fairness am Herzen liegt, wie setzt man das in der Anlagestrategie um? Lässt man sich mit einem grün angehauchten Fonds abspeisen, oder bildet man sich weiter?

Es ist offensichtlich, dass Family-Governance keine Aufgabe für einen Samstagmorgen ist, sondern ein stetiger Prozess. Ein indirektes Ziel dieses Vorgehens besteht darin, die Familienmitglieder mit einzubeziehen, sie altersgerecht zu befähigen mitzuentscheiden. Eine Familie beispielsweise vergibt jährlich Geld für philanthropische Zwecke. Mitglieder der jüngsten Generation präsentieren vor den anderen Projekte, die sie sinnvoll finden. Dann stimmt man ab, welches den Zuschlag erhält. So wird aus der Spende ein lehrreiches Gemeinschaftswerk.

Sich an solche partizipative Verhaltensmuster zu gewöhnen, dürfte vor allem für störrische Patriarchen, die gerne alles allein entscheiden, schwierig und heilsam zugleich sein. Nicht selten stossen darum die Jungen einen solchen Prozess an, der professionell begleitet wird. Ein gemeinsamer Wille muss aber schon vorhanden sein. Wenn eine Familie bereits stark verkracht ist, dann ist es nicht der Vermögensverwalter, der solche Risse kitten kann.

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