NZZ – Eugen Stamm

Geldanlage ist nicht nur ein analytisches, sondern auch ein emotionales Thema – und ein zuverlässiger Weg, langfristig Wohlstand aufzubauen.

Der Angestellte der Zürcher Kantonalbank am Schalter war sicher irritiert, liess sich aber nichts anmerken. Da stand ich schon wieder vor ihm, ein Teenager, und erteilte ihm einen Börsenauftrag zum Verkauf von fünf Aktien der Hero-Konservenfabrik Lenzburg. Einige Wochen früher hatte ich sie gekauft, ebenfalls bei ihm am Schalter – das Internet war damals noch nicht, was es heute ist. Der Kurs hatte sich leicht positiv entwickelt. Jeden Morgen entriss ich den Eltern den Börsenteil der Zeitung und verfolgte die Entwicklung. Nun wies mich der Herr im Anzug höflich darauf hin, dass nach Abzug der Gebühren ein Gewinn von nur etwa 60 Fr. resultieren würde, eine Lappalie also. Ich war begeistert. Verkaufen! Auf dem Heimweg fühlte ich mich, als hätte ich Zaubern gelernt. Geld lässt sich aus dem Nichts erschaffen! Man muss eben nur wissen, wie. Der russische Salat in der Dose, der bei uns im Küchenregal stand, war von Hero. Darum war das einer der wenigen Namen auf der Börsenseite, die ich überhaupt kannte.

Geduld ist gefragt

«Investieren sollte mehr so sein, wie Farbe beim Trocknen zuzuschauen», sagte der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Samuelson einmal. Wer Aufregung wolle, solle nach Las Vegas gehen. Samuelson hatte schon recht; Geduld ist wichtig. Denn nach meinem Verkaufseifer musste ich mit wachsendem Unbehagen mit ansehen, wie der Kurs von Hero unbeirrt weiter stieg. Also rechnete ich mir nun täglich vor, wie viel Gewinn mir entgangen war – eine schmerzhafte erste Lektion. Es sollte nicht die letzte sein. Die Börse ist eine strenge Lehrerin, sie zeigt einem immer wieder, wie dumm man eigentlich ist.

Anders als Samuelson kann man aber der Meinung sein, dass Investieren durchaus aufregende Seiten hat. Geld bewegt die Welt, deswegen lohnt es sich, mehr darüber zu lernen. Wirtschaftliche Zusammenhänge zu verstehen, Ertrags- und Kostentreiber eines Unternehmens und einer Industrie richtig einzuschätzen, sei faszinierend, sagt Christine Schmid, Leiterin Investment Solutions bei der Grossbank Credit Suisse. Ein breiter Teil der Bevölkerung dürfte das allerdings anders sehen. Viele sind der Überzeugung, dass Finanzanlagen zu kompliziert sind oder nur Wohlhabende etwas angehen. Also parkieren sie ihr Kapital auf dem Sparkonto. Gemäss Umfragen besitzt nur etwa ein Fünftel der Schweizer Bevölkerung Aktien. Hauptgrund ist offenbar mangelndes Wissen, noch vor der fehlenden Zeit.

Dabei ist der wichtigste Grundsatz so einfach, dass ihn jeder Teenager versteht: Geld kann man investieren oder ausgeben. Investieren heisst, Vermögenswerte zu kaufen, deren Wert langfristig steigt, also etwa Aktien. Als Aktionär wird man Eigentümer eines Unternehmens. Wenn es sich gut entwickelt, profitiert man. Mit einer Aktie des Technologiekonzerns Apple verdient man an jedem verkauften neuen iPhone mit. «Als Investor ist man am Wirtschaftsgeschehen und an der Entwicklung von Unternehmen unmittelbar beteiligt», sagt Anton Simonet, Leiter Wealth Management Schweiz bei der Grossbank UBS. Seine ersten Investitionen waren Schweizer Aktien, von denen er einige heute noch hält.

Viele verstehen den Unterschied zwischen Konsum und Vermögenswerten nicht. Eine Erklärung liefert beispielsweise Robert Kiyosaki im Bestseller «Rich Dad Poor Dad». «Ich habe in ein neues Auto investiert», hört man die Leute sagen, oder in eine Stereoanlage oder in eine teure Uhr oder sonst etwas. Das so zu sagen, ist falsch. Denn ein Auto ist ein Konsumgut, keine Investition; es wirft nichts ab, sondern kostet nur. Wer andauernd auf Instagram zeigen muss, was er hat, bleibt arm, denn echte Vermögenswerte sind nicht fotogen. Der Rapper Ice-T fordert im Lied «Rap Games Hijacked»: Statt mit Goldkettchen herumzurennen, solle man in Immobilien investieren – ein durchaus vernünftiger Ratschlag.

Verantwortung übernehmen

Aktien oder auch Anlagefonds, die auf Aktien oder Immobilien setzen, eignen sich nicht zum Angeben. Die Freude an ihnen muss also irgendwo anders herkommen. Aber woher? Jörg Allenspach, Chef des Vermögensverwalters Candriam Schweiz, weist darauf hin, dass Geld anlegen auch heisst, Verantwortung dafür zu übernehmen, was man unterstützen will. Man kann sich also negativ entscheiden und sich sagen, ich würde nie in ein Unternehmen investieren, das dies oder das macht; oder man lässt sich von seinen Interessen leiten: Die Ärztin investiert in einen Biotech-Fonds, die Ingenieurin in ABB oder Airbus und der Teenager in Nintendo oder H&M. Daniel Wild, Co-CEO des Vermögensverwalters Robeco SAM, findet beispielsweise bemerkenswert, dass heute umweltbezogene Aspekte im Anlageprozess systematisch berücksichtigt werden – er arbeitete früher als Ingenieur im Umweltbereich.

Die Banken sind ziemlich gut darin, Geldanlage als etwas Kompliziertes darzustellen. Schliesslich verdienen sie Geld damit, einem dabei zu helfen, sich im Dickicht von Anlageprodukten zurechtzufinden, das sie selber erschaffen haben. Wenn man nicht viel Vermögen hat, kann man von ihnen nicht viel erwarten und eröffnet besser ein Depot bei einem Online-Broker.

Josef U. Bollag, Chef der Vermögensverwaltungsfirma Tareno, hat mit 17 einen grossen Teil seines bescheidenen Ersparten in die PS der Zürich-Versicherung investiert. Der Grund dafür seien reine Neugier und Lust auf diese Erfahrung gewesen, sagt er. Geldanlage ist für ihn eine Mischung zwischen Intuition und analytischem Vorgehen.

Dieses Abenteuer zu wagen, diese Erfahrung zu machen, ist empfehlenswert, auch wenn man das Fachwissen (noch) nicht hat, um den Zahlenteil eines Geschäftsberichtes zu analysieren. Die Augen offen halten kann schliesslich jeder. Wenn man bemerkt, dass die stilbewussten Kolleginnen im Yoga neuerdings Lululemon tragen oder in den angesagten Bars Fever-Tree-Tonic zum Gin serviert wird, kann man damit Geld verdienen – man muss nur wissen, dass diese Firmen an der Börse gehandelt werden, und solche Aktien frühzeitig kaufen.

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