Wie man die Erben auf die Millionen vorbereitet

NZZ – Eugen Stamm

Die Praxis zeigt, dass ein gemeinsamer Planungsprozess, der die nachfolgende Generation mit einbezieht, die Chancen erhöht, das Erbe zu bewahren.

Kein erfolgreicher Geschäftsmann will wohl mit einer unbedachten Handlung das Familienvermögen aufs Spiel setzen. Aber gerade in familiären Angelegenheiten, wenn Gefühle den Sachverstand ausser Kraft setzen, ist rasch grosser Schaden angerichtet. Ein Beispiel: Zu Lebzeiten schenkt der Vater seinem Sohn eine Immobilie, ohne der Tochter ein Wort davon zu sagen. Sie erfährt erst nach seinem Ableben von der geheimen Transaktion. Verständlicherweise ist sie durch diese Handlung zutiefst gekränkt. Als Folge davon entbrennt ein jahrelanger, äusserst teurer Rechtsstreit zwischen den Geschwistern. Was in diesem Fall der Handlungsgrund des Vaters war, ist für die Allgemeinheit nicht relevant. Die Frage, ob das auch anders geht, hingegen schon.

Geschenk statt Last

In der Praxis finden sich haarsträubende Beispiele dafür, wie Menschen ihren Liebsten das Erben zur Last machen. Der geschiedene Vater etwa, der seine neue, junge Freundin heiratet und sie damit zur gesetzlichen Erbin macht – das Ganze hinter dem Rücken seiner erwachsenen Kinder, weil Ärger ausbräche, wenn sie es erführen. Solche Geheimniskrämerei garantiert einen späteren Erbstreit. Oder der Ehemann, der sehr bescheiden mit seiner Gattin lebt, ohne dass diese die geringste Ahnung von seinem Millionenvermögen hat. Als sie nach seinem Tod davon erfährt, ist sie durch diese Lebenslüge so schockiert, dass sie mit all dem Geld nichts anzufangen weiss. Eine Erbschaft, die man sich im Allgemeinen als wunderbares Geschenk vorstellt, verkehrt sich in solchen Situationen zu einer schmerzhaften Ungerechtigkeit, die zu lächerlichem Geld geronnen ist.

Wie man sein Vermögen durch Geldanlage mehrt oder ein Testament verfasst, dazu findet man Anleitungen genug. Was ist aber mit der Frage, wie man Menschen auf Vermögen vorbereitet? Braucht es das überhaupt?

Der Umgang mit diesem Thema ist eine höchst persönliche Entscheidung. Man kann sich sagen: «Mit meinem Eigentum verfahre ich, wie es mir passt! Après moi le déluge.» Ist man hingegen weniger fatalistisch gestimmt, möchte man vielleicht doch mehr weitergeben als nur Millionen – etwa das Wissen darum, wie sie entstanden sind und nach welchen Grundsätzen einem ihre Bewahrung, ihr Einsatz und ihr Verbrauch sinnvoll erscheint. Wird Geld mit gesunden Wertvorstellungen bereichert, dann wird es für die Nachkommen nicht zur Last, sondern gibt ihnen Wurzeln und Flügel, wie die Chinesen sagen.

Skripte zum Umgang mit Reichtum werden, meist unbewusst, so oder so tradiert. Schliesslich bekommen alle von ihren Eltern eine bestimmte Grundhaltung vermittelt, vorgelebt in ihren Handlungen und verdeutlicht in Bemerkungen, die sie fallenlassen. So hört man, dass Sparsamkeit eine Tugend, oder aber, dass nur das Beste gut genug sei; dass man den Armen helfen müsse, oder aber, dass sie auch reich wären, wenn sie sich nur anstrengten. Was der Grundgehalt auch sein mag, dieser Form der Vermittlung mangelt es in ihrer Beiläufigkeit an Reflexion, sie ist etwas anderes als eine Diskussion.

Strukturierte Gespräche

Das geht auch anders. Ein strukturierter Ansatz vermag zuverlässiger zu verdeutlichen, was einem wirklich wichtig ist, und hilft bestenfalls, die Familie zu einen und so späteren Ärger zu vermeiden. Wie man das genau macht, lernt man von sehr vermögenden Sippen.

Diese entdecken nämlich auch in der Schweiz vermehrt das Thema Family-Governance als Instrument der generationenübergreifenden Planung. Typischerweise sind bei solchen Familien nicht nur die Vermögensverhältnisse ziemlich kompliziert, sondern oft auch noch die zahlreichen Angehörigen über den ganzen Erdball verstreut. Ein inniges Gespräch unter dem Weihnachtsbaum tut es in solchen Konstellationen eben nicht mehr.

Ziel der Family-Governance ist, familiäre Einmütigkeit herzustellen. Das bedeutet nicht dasselbe wie Gleichschaltung, schliesslich bedeutet manchen Leuten Geld viel, anderen herzlich wenig. Vielmehr geht es darum, ein breit abgestütztes Selbstverständnis der Familie zu formulieren, im Sinne von: «Unser Name steht für . . .» – manche gehen so weit, das Resultat tatsächlich in einer schriftlichen Familienverfassung festzuhalten.

Wie oft ist aber auch hier der Weg eigentlich das Ziel. In der Praxis gibt es verschiedene spielerische Instrumente, um die Diskussion anzustossen, Spielkarten beispielsweise, die für verschiedene Werte stehen wie etwa: Mitgefühl, Sicherheit, Unabhängigkeit. Nicht selten seien die Leute überrascht, wenn sie sähen, welche Werte enge Verwandte als besonders wichtig bezeichneten, sagt Jorge Frey, der bei Marcuard Family Office solche Diskussionen anleitet. «Ihr habt mich nie gefragt», sagen die eher Schweigsamen dann oft.

Wertbasierte Anlagestrategie

Für den abgebrühten Geschäftsmann mag so ein Prozedere vielleicht nach unnützer Gefühlsduselei oder Gruppentherapie klingen. Allerdings sind Erkenntnisse aus diesem Prozess als Leitlinien für die Vermögensverwaltung wertvoll. Wenn alle voneinander wissen, ob ihnen Sicherheit oder Wagemut wichtiger sind, dann trifft man eine besser informierte Entscheidung, sobald man das Familienvermögen zwischen Staatsanleihen und Startups aufteilt. Die Diskussion hilft auch, die nächste Generation zu schulen, die richtigen Fragen zu stellen. Wenn ihr Nachhaltigkeit und Fairness am Herzen liegt, wie setzt man das in der Anlagestrategie um? Lässt man sich mit einem grün angehauchten Fonds abspeisen, oder bildet man sich weiter?

Es ist offensichtlich, dass Family-Governance keine Aufgabe für einen Samstagmorgen ist, sondern ein stetiger Prozess. Ein indirektes Ziel dieses Vorgehens besteht darin, die Familienmitglieder mit einzubeziehen, sie altersgerecht zu befähigen mitzuentscheiden. Eine Familie beispielsweise vergibt jährlich Geld für philanthropische Zwecke. Mitglieder der jüngsten Generation präsentieren vor den anderen Projekte, die sie sinnvoll finden. Dann stimmt man ab, welches den Zuschlag erhält. So wird aus der Spende ein lehrreiches Gemeinschaftswerk.

Sich an solche partizipative Verhaltensmuster zu gewöhnen, dürfte vor allem für störrische Patriarchen, die gerne alles allein entscheiden, schwierig und heilsam zugleich sein. Nicht selten stossen darum die Jungen einen solchen Prozess an, der professionell begleitet wird. Ein gemeinsamer Wille muss aber schon vorhanden sein. Wenn eine Familie bereits stark verkracht ist, dann ist es nicht der Vermögensverwalter, der solche Risse kitten kann.

Summer Camp for the Ultra-Wealthy Teaches Kids How to Stay Rich

Bloomberg – Suzanne Woolley

Attendees at Next Gen functions hosted by the likes of UBS, Citi Private Bank, and Credit Suisse will one day rank among the world’s most sought-after clients.

Fifty-two heirs to lavish fortunes luxuriate in sleek splendor at the Four Seasons.

They sip designer lattes and speak the language of wealth. The talk is of money, noblesse oblige, technology, Formula One. At lunchtime, out comes chilled rosé, with a tasting led by Jon Bon Jovi’s son Jesse.

Welcome to Camp Rich.

Here, not far from Wall Street, Swiss banking giant UBS Group AG has convened its annual Young Successors Program (YSP), a three-day workshop for people who were born loaded. Part tutorial and part self-actualization exercise, the event is designed to stamp the UBS brand on the minds of the next generation of the ultra-wealthy—in essence, to hook them while they’re young.

With an average age of 27, attendees at the June YSP and other Next Gen functions hosted by the likes of UBS, Citi Private Bank, Morgan Stanley and Credit Suisse will one day rank among the world’s most sought-after clients. Or, at least, that’s the hope. In an era of extreme affluence, elite money managers are vying for the hyper-rich as never before. The world is poised for a generational shift in wealth that will ripple through global business and financial markets, and the banks can’t afford to take any accounts—current or future—for granted.

On one level, these programs—also held in cities such as Zurich, London and Singapore—represent high-end networking opportunities where the young and rich can be young and rich together.

The intimacy “allows them to let their guard down for a change,” said John Mathews, head of private-wealth management and ultra-high net worth for UBS Wealth Management USA.

The gatherings also allow private banks to show off the broad range of services they offer, which is crucial as investing becomes largely commodified—and in any case, isn’t a topic that inspires passion among millennials.

So while one of Citi Private Bank’s Next Gen programs offers a day on financial theory and strategy, it also devotes a day to entrepreneurship and innovation and another to estate planning.

“We want young ones to understand that, as a scion of a wealthy family with a business legacy, you have responsibilities,” said the aptly named Money K., who heads up Citi’s global Next Gen programs from Singapore. “Eventually you will inherit, so how should you think about it, and what are the rules on estate planning in different jurisdictions around the world?“

Invitees to the June UBS confab had at least one thing in common: a family account with the bank well into—or above—the eight-digit mark. They arrived from around the world and included seven sets of siblings. The youngest was 21; the oldest, 34. UBS executives agreed to speak about the gathering, and allowed a reporter to attend all but the evening activities, on the condition that participants not be named.

Fusty these affairs are not. For one cocktail reception, UBS chose a penthouse with a terrace atop the Beekman Hotel, a renovated Gilded Age office building. Brown Brothers Harriman & Co.—about as old-school as it gets, with a history going back to 1818—hosted 40 offspring of its best clients at the chic Soho Grand last year. Morgan Stanley’s private-wealth management business went for a different hipster vibe, taking over the bowling lanes at Lucky Strike in Manhattan for the 100 attendees of its Next Gen program in May.

Since many millennials want to run their own businesses and like to learn from peers, Morgan Stanley included a “Shark Tank”-style session with young social entrepreneurs pitching to a panel of three attendees.

“Socially responsible investing is a theme that really resonates,” said Mandell Crawley, head of private wealth management at the bank.

Personal branding also clicks with the younger generation, so Crawley headed up a discussion on “Defining Your Narrative.” Breakout talks included creating “a powerful package called ‘you’” and “how to communicate like a leader.”

Another popular theme is innovations in philanthropy, and wealth managers are increasingly keen to offer strategic advice. Checkbook charity doesn’t appeal, but impact philanthropy does, because the results can be measured. The poster child for this may be Scott Harrison, 42, founder of Charity: Water, who spoke at the Morgan Stanley event and UBS’s June gathering.

Harrison’s story stretches from life as a nightclub promoter to head of a wildly popular nonprofit creating access to clean water in developing countries. His presentation showed photos of the grueling journeys many women and girls take to fill jerry cans with 40 pounds of water that isn’t even fit to drink.

Millennials are said to value experiences over things, so UBS had the group walk a mile with a similar can, switching off among themselves as they headed to a chic townhouse for cocktails. There, to get a different perspective, they donned virtual-reality goggles. The next morning, UBS announced it had donated $12,000 in the YSP group’s name to build a well.

Jesse Bongiovi shared some thoughts during one of the lunches, along with the rosé wine, Diving into Hampton Water, that he launched with his Grammy-winning father. The 23-year-old got some inspiration on marketing the rosé when he was an attendee at last year’s program, after hearing a presentation on disruptive innovation from Luke Williams, a professor of entrepreneurship and marketing at New York University Stern School of Business and regular speaker at the UBS workshops. Fast cars—really fast ones—entered the mix, too. Nico Rosberg, a 33-year-old Formula One champion, spoke about his new focus on cutting-edge startup investing. Silicon Valley technologist and venture capitalist Evangelos Simoudis, of Synapse Partners, also spoke.

Networking breaks punctuate the sessions, and the food can be as trendy as the venues. At the UBS event, attendees could try out a La Colombe draft latte machine or grab a fresh bottle of Voss water to wash down artfully arranged, freshly baked mini-doughnuts and pretzels with cheese dipping sauce, or a healthier concoction involving chia seeds, dried papaya bits and mint.

All the informal mingling has led participants to become best friends, marry, vacation together and invest alongside each other, the banks say. Bongiovi hooks up regularly with five guys he met in the program, and UBS’s Mathews said one set of alums dubbed themselves the “Group of 13” and convene every year to talk about family issues.

The banks often set up LinkedIn groups or Facebook pages and host events during the year, such as UBS gatherings at Art Basel in Miami Beach.

Credit Suisse may have the most elaborate networking program. Thirty-five sons and daughters of the bank’s most valued clients go through its six-day Young Investors Program (YIP) and so become part of its Young Investors Organization (another acronym: YIO). YIP alums head up the group, which has more than 1,300 members from 55 countries and has regional, local, and global meetings.

Sparking communication between the heirs and their parents may yield the biggest dividends for wealth managers, however.

“I went home and asked my parents a million and one questions about how things are set up,” Bongiovi said. He met the family’s adviser, and they’ve gotten together a number of times since then. Bongiovi said he is now a lot more familiar and involved with his family’s situation and their next steps.

And, of course, he’s more familiar with UBS. Mission accomplished.

Geld allein macht nicht glücklich, aber es hilft sehr

NZZ – Bruno S. Frey

Die Glücksforschung führt zu überraschenden Ergebnissen und widerlegt alte Vorurteile.

Empirische Glücksforschung ist heute ein wichtiger Teil der Ökonomie und Psychologie geworden. Glück hat allerdings mancherlei Bedeutungen und ist deshalb schwer zu messen. Häufig werden drei Arten von Glück unterschieden: der kurzfristige, rasch vergehende Affekt als das eine Extrem; am anderen Ende der Skala ein erfülltes, gutes Leben als Ganzes. Dazwischen ist die subjektive Lebenszufriedenheit angesiedelt, mit der sich die Glücksforschung vor allem beschäftigt, indem sie fragt: «Alles in allem, wie zufrieden sind Sie mit dem Leben, das Sie führen?»

Diese Frage zielt auf überlegte Antworten, welche auch etwas längerfristige Aspekte einbeziehen. Sie wurde und wird einer riesigen Zahl von Personen in Hunderten von Ländern gestellt. Mit Hilfe fortgeschrittener statistischer Methoden können die verschiedenen Einflussgrössen auf die subjektive Lebenszufriedenheit (oder kurz auf das «Glück») isoliert werden. Damit lässt sich der Einfluss einzelner Grössen untersuchen, indem die Einflüsse der vielen anderen Faktoren konstant gehalten werden.

Die Antworten auf diese Frage entsprechen gut einem landläufigen Verständnis von Glück und bestätigen übliche Auffassungen. Wer auf einer Skala zwischen 0 («völlig unzufrieden») und 10 («völlig zufrieden») einen hohen Wert angibt, lächelt zum Beispiel mehr (im Sinne des sogenannten Duchenne-Lächelns, das sich nicht vortäuschen lässt), ist optimistischer und geselliger.

Das kurze Glück ob dem Neuen

Die Glücksforschung bringt dabei einiges Überraschendes hervor. So sind die meisten Menschen der Ansicht: «Geld macht nicht glücklich.» Viele Sozialromantiker sind überzeugt, in armen Ländern lebende Menschen seien wenig Stress ausgesetzt und deshalb zufriedener. Die moderne, empirisch fundierte Glücksforschung kommt zum Ergebnis: «Geld macht glücklich.» Mit steigendem Einkommen nimmt die Lebenszufriedenheit eindeutig zu. Wer arm ist und mit Geldsorgen zu kämpfen hat, ist mit seinem Leben weniger zufrieden als gutverdienende Menschen, die sich kaum Gedanken um die Finanzierung ihrer Bedürfnisse machen müssen.

Allerdings findet die empirische Glücksforschung keine lineare Beziehung zwischen steigendem Einkommen und Glück. Zusätzliches Einkommen verschafft immer weniger zusätzliches Glück. Je mehr Geld zur Verfügung steht, desto wichtiger werden andere Faktoren, insbesondere intensive soziale Beziehungen mit Freunden, Verwandten und Kollegen.

Die Bedeutung sozialer Beziehungen wird allerdings von den meisten Menschen nicht angemessen vorausgesehen. Sie haben eine geringe Fähigkeit, die Bedingungen zukünftiger Lebenszufriedenheit richtig einzuschätzen. Das neue schicke Auto macht nur kurzfristig glücklicher. Auch das Haus im Grünen, sehnlichst erwünscht und mit langen Arbeitswegen verbunden, ist im statistischen Durchschnitt längerfristig kein Glücksbringer. Die meisten Pendler wollen es nicht wahrhaben, aber Untersuchungen zeigen, dass ihre Lebenszufriedenheit geringer ist als bei Personen, die näher bei ihrem Arbeitsort wohnen.

Es ist nicht gleichgültig, wie man sein Einkommen bezieht. Geld ohne Gegenleistung mindert zwar die täglichen Sorgen um den Lebensunterhalt, macht aber weniger glücklich als ein Einkommen, das man sich selbst verdient hat. Arbeitslose, die über längere Zeit vom Staat monetär versorgt werden, sind mit ihrem Leben weniger zufrieden (bei konstant gehaltenen anderen Faktoren, insbesondere dem Einkommen). Sie fühlen sich von der Gesellschaft ausgeschlossen, und ihr Selbstwertgefühl leidet.

Ähnliches gilt auch für Wirtschaftsflüchtlinge. Wenn ihnen der Staat einfach Geld überweist, wird ihnen damit unterstellt, keine Leistung erbringen zu können oder zu wollen. Aus diesem Grund sollte Wirtschaftsflüchtlingen möglichst rasch die Möglichkeit eröffnet werden, in unserem Arbeitsmarkt tätig zu werden und daraus ein selbst erarbeitetes Einkommen zu erzielen.

Der Staat überweist Pensionierten zwar auch regelmässig Geld, die entsprechende Leistung wurde jedoch in der Vergangenheit erbracht. In der Tat sind ältere Personen glücklicher als solche im mittleren Alter, was der landläufigen Vorstellung widerspricht.

Kleinstaaten-Glück

Die meisten Menschen glauben, Lohntransparenz stelle einen Fortschritt dar. Glücklicher werden sie damit jedoch nicht. Menschen tendieren nämlich dazu, sich mit Personen zu vergleichen, die ein höheres Einkommen haben, was sie neidisch macht. Aus dieser Sicht ist die heute häufig propagierte Offenlegung aller Bezüge in einer Firma («gläserne Lohntüte») nicht sinnvoll.

Auch hinsichtlich des Einflusses anderer Faktoren zeigen die quantitativen Untersuchungen einige unerwartete Ergebnisse. Ein schwerer Unfall, der eine grosse körperliche Beeinträchtigung verursacht, senkt zwar zuerst die Lebenszufriedenheit markant. Nach einiger Zeit steigt sie aber wieder fast auf das alte Glücksniveau. Umgekehrt sind Lottogewinner nur vorübergehend glücklicher. Als Grund gilt, dass das Glücksempfinden eine stark genetische Komponente hat.

In der heutigen, digital geprägten Welt gelten kleine Länder vielfach als überholt. Die empirischen Ergebnisse zeigen jedoch das Gegenteil. Dänemark, Finnland, Norwegen, Island und die Schweiz erweisen sich regelmässig als diejenigen Länder, in denen sich die Bevölkerung am glücklichsten fühlt. Grosse Länder wie die USA, Frankreich, Deutschland oder Italien fallen hingegen deutlich ab. Innerhalb der Schweiz ist der «Kantönligeist» ebenfalls glücksfördernd. Die Bürgerinnen und Bürger schätzen es, wenn sie über lokale politische Angelegenheiten selbst entscheiden können. Deshalb sollte sehr wohl überlegt werden, ob Zusammenschlüsse von Gemeinden und sogar Kantonen erstrebenswert sind.

Demokratie wird heute von vielen als überholte Staatsform angesehen, die für eine moderne digitale Gesellschaft nicht mehr recht tauge. Als Vorbilder werden Singapur und ähnlich autoritär gelenkte Länder (zuweilen sogar die Volksrepublik China) angesehen. Jedoch zeigt die Glücksforschung im Vergleich unterschiedlicher Länder und Regionen, dass die Bewohner umso glücklicher sind, je demokratischer die Verhältnisse sind.

Mit meinem Kollegen Alois Stutzer von der Universität Basel habe ich diesen Zusammenhang für die Schweiz untersucht. Wir haben dabei die unterschiedlichen Möglichkeiten direktdemokratischer Mitsprache zwischen den Kantonen betrachtet. Zum Beispiel können die Wahlberechtigten im Kanton Genf zu manchen Themen, insbesondere hinsichtlich budgetärer Aspekte, nicht abstimmen. Im Kanton Basel-Landschaft hingegen sind die direktdemokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten besonders ausgeprägt.

Das saudische Glücks-Ministerium

Unsere Ergebnisse zeigen, dass – unter sonst gleichen Bedingungen – die Bürgerinnen und Bürger in Kantonen mit stärker entwickelten Initiative- und Referendumsrechten mit ihrem Leben zufriedener sind. Wiederum sind Schweizer Bürger insgesamt bei gleichem Einkommen, Alter und Geschlecht zufriedener als in unserem Land lebende Ausländer. Auch dieser Unterschied unterstreicht die glücksstiftende Wirkung der Möglichkeit zur politischen Beteiligung.

Die sozialwissenschaftliche Glücksforschung liefert erhebliche neue Einsichten. Es besteht jedoch die Gefahr, dass Parteien und Politiker sie für ihre Zwecke missbrauchen. Saudiarabien hat sogar eine Ministerin für Glück eingesetzt. Es erscheint fortschrittlich und tönt gut, wenn sich eine Regierung direkt um das Glück ihrer Bevölkerung kümmert. Allerdings lässt sich das Glück nicht bürokratisch von oben herbeiführen.

Eine «Glückspolitik» ist auch deshalb verfehlt, weil Regierungen dann einen Anreiz haben, die Glücksindizes zu ihren Gunsten zu manipulieren. Dies ist einfach zu bewerkstelligen. Zum Beispiel brauchen nur die weniger Glücklichen – etwa Personen im Gefängnis – von der Zählung ausgeschlossen zu werden, wie dies in den USA der Fall ist. In einer Demokratie sollte die Politik die Wünsche der Bevölkerung ernst nehmen und ihr die Möglichkeiten eröffnen, diese so weitgehend wie möglich selber zu erfüllen. Dazu gehören vor allem Massnahmen zur Sicherung der wirtschaftlichen Prosperität und die Festigung der demokratischen Institutionen.

Werte muss man sich leisten können – der neue Moraladel

NZZ – Wolfgang Ullrich

Es ist unklug, politisch-moralische Diskurse vor allem als Diskurse über Werte zu führen. Denn die Werteseligkeit in der heutigen Gesellschaft hat auch eine gefährliche Kehrseite. Es ist nämlich die Seligkeit nur von Eliten.

Seit geraumer Zeit ist kaum etwas so beliebt wie Werte. Politiker beschwören «unsere Werte», Kulturkonservative berufen sich auf Heimat oder Tradition als ihre Werte, linksalternative Milieus bekennen sich zu Werten wie Nachhaltigkeit und Multikulturalismus und richten ihr Konsum- und Freizeitverhalten danach aus.

Über alle Unterschiede hinweg ist diesen Diskursen dabei die Annahme gemeinsam, dass Werte jeweils erst und immer wieder in Kraft gesetzt werden müssen. Wer eine nihilistische Diagnose stellt, also für die gesamte Gesellschaft einen generellen Verlust der Werte beklagt und deren Neubelebung fordert, aber auch wer sich um einzelne Werte kümmert, um individuell profilierter zu sein, vertritt gleichermassen die Überzeugung, dass Werte nur durch persönlichen Einsatz Geltung erlangen können. Solange sie nicht eigens verkörpert sind, bleiben sie abstrakt und leer.

Diese Defizitunterstellung legt jedoch nicht nur eine Handlungsnotwendigkeit nahe, sondern verheisst vor allem einen Handlungsspielraum. Die Verkörperung und Realisierung von Werten verlangt und erlaubt jeweils eine Gestaltung: Hier ist Kreativität gefragt.

«Familie» als Wert – was heisst das?

Damit aber ist es für viele attraktiver, nach Werten zu leben, als ihr moralisches Leben an Tugenden, Pflichten oder Normen zu orientieren. Denn zu deren Erfüllung steht kaum Spielraum zur Verfügung: Man wird ihnen gerecht, oder man verfehlt sie. Anders als Werte existieren sie – so zumindest die herrschende Vorstellung – an sich und objektiv, und sie erlegen dem Menschen verbindliche Verhaltensregeln auf. Zwar kann man sich beim Essen oder im Energieverbrauch als massvoll erweisen oder tapfer in einem Beziehungskonflikt oder in einer Gefahrensituation sein, doch was massvoll und was tapfer ist, ist jeweils kaum strittig.

Dagegen lässt sich ein Wert wie «Familie» ganz unterschiedlich realisieren. Die einen geben viel Geld für eine möglichst grosse Wohnung aus, so dass jedes Kind genügend Platz hat, andere setzen alles daran, sich möglichst viel Zeit für die Kinder zu nehmen, weshalb sie vielleicht sogar auf eine berufliche Karriere verzichten. Wieder andere ziehen aufs Land, um den Kindern ein Aufwachsen in natürlicher Umgebung zu ermöglichen und um familiäre Rituale möglichst ungestört pflegen zu können.

Das Beispiel macht darauf aufmerksam, dass Werte bei ihrer Verwirklichung aber nicht nur Spielraum lassen, sondern zusätzlich zu einer immateriell-ideellen Dimension immer auch eine materielle Grundlage haben. Das gilt bereits für ihre gesamte Begriffsgeschichte. So verstand man unter Werten lange Zeit sogar primär materielle Güter – ein Haus, Schmuck, eine gute Aussteuer –, die aber zugleich mehr waren, da sie für Tradition, Fleiss oder gesellschaftlichen Status standen oder es erlaubten, sich für andere Menschen einzusetzen. Mittlerweile haben sich die Akzente verschoben.

Als Werte gelten nun Familie, Heimat oder Nachhaltigkeit – und das zuerst deshalb, weil sich damit Ideen eines guten Lebens verbinden. Sekundär spielt jedoch nach wie vor eine Rolle, dass bestimmte materielle Voraussetzungen vorhanden sein müssen, um diese Ideen auch verwirklichen zu können. Nur wer das Geld für die grössere Wohnung oder das Haus auf dem Land hat oder über genügend Rücklagen verfügt, um auch Teilzeit arbeiten zu können, wird es schaffen, den Wert «Familie» glaubwürdig zu realisieren.

An Ressourcen gebunden

Oft genügen nicht einmal Geld oder Zeit, um den eigenen Werten in gewünschtem Umfang Ausdruck zu verleihen. Vielleicht braucht man Bildung, vielleicht sogar spezifische inszenatorische oder performative Fähigkeiten – eben Kreativität –, um jene Spielräume zu füllen. Wer etwa auf die Strasse geht, um für einen Wert wie Datenschutz zu demonstrieren, wer eine Crowdfunding-Kampagne initiiert, um der Nachhaltigkeit in der Produktion auf die Sprünge zu helfen, wer sich für den Erhalt eines alten Gebäudes einsetzt, kann das jeweils nicht tun, ohne auf zahlreiche Ressourcen zurückzugreifen. Man muss sozioökonomisch und von seinen Anlagen her mehr oder weniger stark privilegiert sein; sonst ist ein Erfolg nahezu ausgeschlossen.

Wer Werte nicht eigens zur Geltung bringen kann, ist bestenfalls bieder und langweilig.

Positiv formuliert bedeutet das, dass Werte es erlauben, materielle Güter und Produktionsmittel aller Art für etwas zu verwenden, das einen ideellen Charakter besitzt. Sie stimulieren zu Transformationsleistungen, bei denen Geld oder Wissen dazu genutzt wird, die Welt ein klein wenig besser zu machen. Im mindesten verhilft man einem Wert wie Geschichte, Toleranz oder Fair Trade in der eigenen Lebenswelt zu mehr Realität, vielleicht wird man aber auch für andere Menschen zum Vorbild und schärft deren Bewusstsein für bestimmte Werte.

So weit, so gut. Doch hat die Werteseligkeit in der gegenwärtigen Gesellschaft auch eine gefährliche Kehrseite. Es ist nämlich die Seligkeit nur von Eliten. Und sie führt dazu, dass diejenigen, die über keine Privilegien verfügen, die also nicht wohlhabend, gebildet und kreativ begabt sind und die daher jene Spielräume nicht zu füllen vermögen, sich immer wieder als Menschen zweiter Klasse erfahren müssen.

Für sie stellt es einen grossen Nachteil dar, dass es unüblich geworden ist, die moralische Qualifikation an Tugenden oder Pflichten zu messen, sondern dass es vornehmlich darum geht, Werte umzusetzen. Denn um massvoll, gerecht, ehrlich oder rücksichtsvoll zu sein, braucht es weder Geld noch Begabung, ja nichts, worüber nicht jeder Mensch allein dadurch verfügt, dass er Mensch ist. Sind Tugend- und Pflichtenethiken ihrer Logik nach also egalitär, ist eine Wertethik im Gegenteil exklusiv. Sie ermöglicht es nicht allen Menschen gleichermassen, auch gute Menschen zu sein. Vielmehr gilt: Wer Werte nicht eigens zur Geltung bringen kann, ist bestenfalls bieder und langweilig, wird vielleicht aber sogar als abgestumpft, gleichgültig, unverantwortlich wahrgenommen.

Stolz darauf, stolz zu sein

Aber damit nicht genug. Die Ungleichheit steigert sich noch dadurch, dass die Privilegierten, die ihre Werte umfassend ausleben können, dazu neigen, auch stolz darauf zu sein und sich daher über andere Menschen zu erheben. Immerhin tun sie – zumindest nach eigenem Empfinden – nicht nur etwas Gutes, wenn sie sich für Familie, Natur oder Nachhaltigkeit engagieren, sondern erweisen sich zudem als aktiv und kreativ. Sie gestalten die Werte ja eigens und vollbringen damit gute Werke im doppelten Sinn. Moralstolz und Schaffensstolz verbinden sich miteinander und sorgen für Glücksgefühle, die sich im Empfinden eines guten Gewissens ausdrücken. Die Privilegierten werden somit zu Gewissenshedonisten, die schnell dabei sind, mit Dünkel und erhobenem Zeigefinger auf die vielen anderen herabzublicken, die nicht genauso gute Werke vollbringen.

Während die einen sich dank ihrem wertebewussten Lebensstil selbst als wertvoll erleben, kommt es den anderen so vor, als seien sie nur Trash.

Die Orientierung an Werten führt somit zu einer Verstärkung und Vertiefung sozialer Unterschiede. Wer wohlhabend ist, kann sich und sein Leben auch noch als gerechtfertigt erfahren, wer hingegen arm ist, erscheint gleich ein zweites Mal, nämlich in moralischem Sinne, als mangelhaft, gar als minderwertig. Und während die einen sich dank ihrem wertebewussten Lebensstil selbst als wertvoll erleben, kommt es den anderen so vor, als seien sie nur Trash. Es liegt somit in der Logik einer Wertethik, dass sich auf der einen Seite eine Moralaristokratie herausbildet, in der sich alles um das imposante Verkörpern einzelner Werte dreht, während andererseits ein Moralproletariat entsteht, das kaum eine Chance auf Anerkennung hat.

Schon bei Max Scheler, der vor rund einem Jahrhundert die umfassendste Wertethik ausgearbeitet hat, bestand das entscheidende Kriterium für moralisches Verhalten nicht etwa darin, dass es gegenüber dem kategorischen Imperativ bestehen kann, sondern dass es spezifisch und individuell einen Wert zum Ausdruck bringt. Eine moralische Handlung war für Scheler letztlich sogar genauso einzigartig wie ein Kunstwerk. Ein imposant realisierter Wert ist damit ein Meisterwerk – oder, wie man auch sagen könnte, ein Meisterwert. Wirklich imposant wird dieser aber nur, wenn möglichst grosse Mittel zu seiner Realisierung zur Verfügung stehen. Und es wird umso mehr ein Werk daraus, je begabter jemand ist, diese Mittel auch zu nutzen.

Moralisches Wohlstandsgefälle

Massgeblich konnte eine Wertethik allerdings erst in einer Wohlstandsgesellschaft werden, in der hinreichend viele Menschen genügend materielle Ressourcen haben, um sie auch für die Umsetzung von Werten übrig zu haben. Aber selbst wenn es viele sind, die nun ihre Werte realisieren, sind es noch mehr, die das nicht oder nur ungenügend können. Dass sie gegenüber dem Moraladel und angesichts von dessen Neigung zu Selbstgerechtigkeit Ressentiments entwickeln, liegt auf der Hand.

Davon zeugen bereits die populistischen Bewegungen, die in den letzten Jahren gerade in den Ländern virulent geworden sind, in denen ein moralisches Wohlstandsgefälle entstanden ist. In ihnen könnte man sogar eine neoprotestantische Mentalität erkennen, geht es doch heute nicht anders als vor fünfhundert Jahren darum, dass sich Menschen dagegen wehren, nur deshalb als moralisch schlechter qualifiziert zu gelten, weil es ihnen an äusseren Voraussetzungen dazu fehlt, als gut anerkannte Werke zu tun. Wie damals vor allem der Ablasshandel Widerstände auslöste, sind es heutzutage Crowdfunding-Projekte, Bio-Supermärkte, traditionsbewusste Do-it-yourself-Szenen oder der politische Kunstaktivismus, die den Argwohn wecken, einigen zu viel und allen anderen viel zu wenig Chancen auf ein gutes Gewissen zu gewähren.

Es ist höchste Zeit zu erkennen, wie gefährlich es ist, politisch-moralische Diskurse vor allem als Diskurse über Werte zu führen. Und es braucht eine Debatte darüber, wie sich verhindern lässt, dass sozioökonomische Unterschiede zu weiteren Unterschieden führen und nichtprivilegierte Menschen zugleich als moralische Personen abgewertet werden. So oft gerade die politische Linke den Kapitalismus als Motor sozialer Ungleichheit kritisiert hat, so selten hat man bisher die herrschende Wertethik als Motor moralischer Ungleichheit kritisiert. Wenn sich das nicht bald ändert, drohen unruhige Zeiten.

Die da oben

Zeit Online – Laura Cwiertnia

Reiche haben viel Einfluss in Deutschland. Doch man weiß fast nichts über sie. Eine Reise zu denen, die sie am besten kennen: Ihren Dienstleistern.

Mitten auf der Insel Sylt, zwischen Dünen und Fischrestaurants, liegt das Reich der Reichen. Klaus-John Weber zeigt auf einen geschwungenen Pfad, gesäumt von hohen Hecken. „Das ist der Hobookenweg“, sagt er, „die teuerste Straße Deutschlands.“ Ein Quadratmeter Land kostet hier mindestens 35.000 Euro.

Weber hat 41 Jahre als Butler auf Sylt gearbeitet. Deshalb weiß er, wie es hinter den Hecken aussieht, die die Bewohner in zwei soziale Klassen aufteilen: Menschen, die zig Millionen Euro für ein Ferienhaus ausgeben, um darin ein paar Wochen im Jahr Urlaub zu machen. Und dann sind da all die Menschen, die morgens vom Festland über den Hindenburgdamm zum Arbeiten auf die Insel pendeln, weil sie sich eine Mietwohnung auf Sylt nicht mehr leisten können.

Jahrhundertelang hat der Abstand zwischen Arm und Reich politische Ideologien geprägt, Kriege und Revolutionen ausgelöst. Gleichzeitig fasziniert das Leben der „Reichen“ die Leute. Millionen Menschen sehen sich im Fernsehen Krönungen und Dokumentationen über Champagnerpartys an. Und manch einer begeht sogar ein Verbrechen, um selbst reich zu werden. Doch die Wut auf die Vermögenden bleibt. Gerade erst hat sie den G20-Gipfel in Hamburg überschattet: Schon einen Tag vor der Veranstaltung fackelten Randalierer acht Porsche ab. Reichtum ist ein politisches Thema. Die SPD hat vor, die „reichen Erben“ stärker zu besteuern, die Linke alle Vermögenden.

Deutschland ist laut OECD das Land mit der dritthöchsten Vermögensungleichheit aller Industrienationen. Während laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die Hälfte der Deutschen praktisch gar kein nennenswertes Vermögen besitzt und mancher sogar Schulden hat, gehören den oberen zehn Prozent geschätzt zwei Drittel des gesamten Eigentums. Ein einziges Prozent besitzt demnach sogar ein Drittel aller Immobilien, Sparanlagen, Aktien und Unternehmen.

Während die Armen regelmäßig von Wissenschaftlern durchleuchtet und analysiert werden, tauchen die Reichen in Statistiken selten auf – was auch daran liegt, dass nicht einmal offizielle Zahlen dazu existieren, wie viele es von ihnen in Deutschland gibt. Anders als etwa in den USA oder Spanien sind sie hier nicht amtlich registriert, weil es in Deutschland keine Vermögensteuer gibt.

Forscher streiten sogar darüber, wer hierzulande als „reich“ bezeichnet werden kann: ein Manager, der Hunderttausende im Monat verdient, aber dafür arbeiten muss? Jemand, der eine Million von seiner Tante geerbt hat? Ökonomen vom DIW haben 2016 erstmals den Begriff der „Vermögenselite“ definiert: Dazu zählen Menschen, die mindestens zehn Millionen Euro besitzen. Selbst die „Ärmsten“ von ihnen müssen nicht arbeiten und können sich trotzdem mehr leisten als die meisten anderen Menschen im Land. Und sie haben Macht: zum Beispiel weil ihr Geld in Unternehmen fließt, von denen Arbeitsplätze abhängen.

Und sonst? Reichtumsforscher, die diese Vermögenden anonym befragen wollen, kommen kaum an sie heran. Aber es gibt Menschen, die wissen, wie die Reichen leben, wie sie ihre Kinder erziehen und was ihnen Sorgen bereitet. Es sind Menschen wie Klaus-John Weber. Sie arbeiten als Dienstleister reicher Menschen, als Butler, Rechtsanwälte oder Escort-Damen. Sie hören ihre Auftraggeber reden. Was erfahren sie?

Der Butler

An einem Aprilmorgen dieses Jahres wartet Klaus-John Weber am Bahnhof in Westerland. Wenn Sylt das Klischee des reichen deutschen Urlaubsortes ist, dann erfüllt Weber das Klischee des Dieners: Er trägt Melone und einen langen schwarzen Mantel. Zur Begrüßung lüpft er den Hut, nimmt den Koffer ab, öffnet die Beifahrertür seines Kleinwagens und ruft: „Willkommen auf der Insel, Mylady!“

„Die Reichen bleiben unter sich“

Weber ist 72 Jahre alt. Bis er vor sieben Jahren in Rente ging, erfüllte er als freiberuflicher Butler den Urlaubern spezielle Wünsche. Weber begleitete sie bei Strandspaziergängen oder brachte ihre Hunde zum Tierarzt. So schildert er das. Ob es stimmt, lässt sich nicht nachprüfen. Denn die Namen seiner Arbeitgeber hält Weber geheim. Und ebenso, wie viel Honorar er bekommen hat. Wer heute einen derartigen Service bei einer Butler-Agentur bucht, zahlt dafür bis zu 400 Euro pro Stunde. Fragt man Weber, ob sich seine Kunden verändert hätten, antwortet er:

In den siebziger Jahren schliefen die Vermögenden noch in einfachen Pensionen, ganz egal, wie wohlhabend sie waren. Heute besitzen die Herrschaften überall auf der Welt Immobilien, an der Côte d’Azur, in Miami, hier auf Sylt. Für kleine Reetdachhäuser, die früher 200.000 Mark gekostet haben, bezahlt man heute 17 Millionen Euro. Dass die Anwesen so hochpreisig sind, liegt auch an der Nachbarschaft, denn die kaufen Sie mit. Die Insel Sylt ist in Branchen unterteilt: Hier wohnen die Verleger, dort die Schnapsfabrikanten und ein paar Kilometer weiter die Industriellen. In den Sommerferien laden sie sich gegenseitig auf Partys ein, ihre Kinder spielen miteinander, und manche heiraten später sogar. Wer will schon neben einem Bordellkönig wohnen, wenn er den Zeitschriftenverleger Heinz Bauer haben kann? Dafür bezahlen sie auch gern etwas mehr. Früher haben die Herrschaften nicht so zurückgezogen gelebt. In den siebziger Jahren feierten sie Kostümpartys am Strand. Geändert hat sich das in der RAF-Zeit. Da verbrannten Eltern plötzlich die Fotos ihrer Kinder, und die Jugendlichen durften nur noch in großen Gruppen über die Insel fahren, damit sie nicht entführt werden konnten. Heute haben die meisten zwar keine Angst mehr, bleiben aber trotzdem lieber unter sich. In der Regel sogar in ihrer Vermögensklasse. Da brauchen sie sich keine Sorgen zu machen, dass jemand an ihr Geld will. Viele fürchten sich vor Menschen, die erst den charmanten Liebhaber spielen und sie später mit ihren Geheimnissen erpressen.

Die Dienstleister, die hier von ihren Erfahrungen erzählen, erleben die Vermögenden in sehr unterschiedlichen Situationen: zu Hause, in der Kanzlei, im Klassenzimmer oder im Bett. Doch alle machen dieselbe Beobachtung wie der Butler Klaus-John Weber. Er sagt: „Die Reichen bleiben unter sich.“

Wie gespalten eine Gesellschaft ist, sieht man vor allem daran, ob sich ihre Gruppen im Alltag noch begegnen. In Deutschland hat sich das Wohnen in den vergangenen Jahren drastisch verändert. Ob in den Elbvororten von Hamburg, an den teuren Ufern oberbayerischer Seen oder im Hochtaunus: In manchen Gegenden sind die Immobilienpreise so stark gestiegen, dass dort heute fast nur noch Leute leben, die viel besitzen. Auch in den größeren Städten wohnen Arme und Reiche immer weiter voneinander entfernt. Man kann dies – wie Klaus-John Weber – mit Furcht um Familie, Eigentum, Privatsphäre begründen, oder damit, dass sich die Reichen von der Masse abheben wollen.

Anders als in den USA neigen die meisten Vermögenden in Deutschland nicht dazu, ihren Reichtum öffentlich auszustellen, sie verstecken ihn lieber. Meist leben sie hinter hohen Mauern, und ihre Hofeinfahrten sind besonders lang. Man mag darin die Dezenz des deutschen Reichtums erkennen, den fehlenden Willen zum Protz, aber es zeigt sich darin auch etwas anderes: die Abkehr vom Leben der anderen.

Der Concierge

Knapp tausend Kilometer vom Butler Weber entfernt arbeitet ein Mann, der den Vermögenden Türen öffnet, die den meisten Menschen verschlossen bleiben. Florian Weidenbach ist Chefconcierge im Bayerischen Hof in München, einem der bekanntesten Luxushotels Deutschlands. Ein Doppelzimmer kostet hier bis zu 580 Euro pro Nacht. Das können sich zwar auch Menschen leisten, die nicht extrem reich sind. Doch viele der Superreichen zählen hier zu den Stammgästen.

Warum sie so gern kommen, hat viel mit Florian Weidenbach selbst zu tun. Wenn die Gäste hier übernachten, ist er so etwas wie ihr persönlicher Assistent. Er übernimmt auch Aufgaben, die nichts mit der Hotelübernachtung zu tun haben. „Wenn jemand Karten fürs Champions-League-Spiel will oder einen Privatjet braucht, organisiere ich das für ihn“, sagt er.

„Die meisten wünschen sich ein Girlfriend-Gefühl“

Florian Weidenbach sieht aus wie die moderne Variante des Butlers Klaus-John Weber: Anzug, Krawatte, am Kragen ein kleiner goldener Schlüssel als Anstecknadel. Er ist das Symbol des Weltverbands der Luxusconcierges. Mehrmals im Jahr trifft sich Weidenbach mit Kollegen aus aller Welt und tauscht sich über die Bedürfnisse der Kunden aus. Wenn jemand beurteilen kann, ob sich die Lebenswelt der Reichen verändert hat, dann er.

Wenn ein neuer Mitarbeiter bei uns anfängt, frage ich zuallererst: „Hast du einen Duden zu Hause? Dann streich das Wort ›Nein‹ heraus!“ Ich versuche, den Kunden jeden Wunsch zu erfüllen. Einmal wollte einer zu einem ausverkauften Wu-Tang-Clan-Konzert, da habe ich die ganze Stadt durchtelefoniert. Ein anderes Mal wollte jemand an Heiligabend Ferrari fahren, da habe ich ein Autohaus gefunden, das ihm da noch einen verkauft. Ich bin der Meinung, dass mein Job auch immer wichtiger wird. Während die Dienstleistungen bei Hotels mit zwei oder drei Sternen weniger werden, legen unsere Gäste mehr und mehr Wert auf individuellen Service. Vor allem für die junge Generation ist es selbstverständlich, dass es alle erdenklichen Dienstleistungen gibt.

Dass sich die Wünsche ihrer Kunden verändert haben, erzählen viele Dienstleister. Der leitende Mitarbeiter eines großen deutschen Autoherstellers, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, sagt: „Ein klassischer Sportwagen gilt vielen Superreichen heute nicht mehr als ein Golf. Diese Kunden überzeugt man nur noch mit Einzigartigkeit, sie kaufen fast nur Limited Editions.“

Weltweit, auch in Deutschland, entstehen neuerdings Agenturen für Edel-Concierges, 24-Stunden-Nannys oder höchstpersönliche Reiseagenten. Selbst die Dating-App Tinder gibt es als Edelversion – eine Kontaktbörse für Reiche.

Während einerseits immer mehr Deutsche Geld, Aufwand und Energie sparen, über Online-Portale nach Billigflügen suchen und per App ihre Wohnungen, Autos und Nahrungsmittel teilen, scheint das Leben der Vermögenden immer kostbarer und exklusiver zu werden. Woran liegt das?

Die Escort-Dame

Eine Frau, die in der Zeitung nicht mit Namen genannt werden will, arbeitet für die Agentur Billionaires Escort und trifft sich ein- bis zweimal im Monat für Geld mit Männern. Drei Stunden mit ihr kosten 1.300 Euro, eine ganze Nacht 2.300 Euro. Sie erfährt viel Persönliches über die Männer, die sich solche Honorare leisten können und wollen – und nebenbei auch etwas über deren Verhältnis zur Realität.

An einem Sommertag sitzt die 34-Jährige in einem Eiscafé auf der Düsseldorfer Königsallee und sieht aus, als besäße sie selbst viel Geld: Sie trägt eine Bluse von Prada, Ohrringe aus Gold und eine Rolex-Uhr. Sie verkleidet sich oft, das gehört zum Geschäft. Ein paar Stunden lang tut sie so, als gehöre sie zur Welt der Reichen. Sie geht mit ihren Kunden shoppen, in exklusiven Restaurants essen und später in die Suite eines teuren Hotels. Manchmal spielt sie in der Öffentlichkeit die Assistentin, meist gibt sie sich als die Freundin aus. Findet sie einen Kunden nicht attraktiv, geht sie trotzdem mit ihm aufs Zimmer und tut so, als ob.

Sie sagt:

Bis jetzt hat mich nur einer von den Jungs als Dienstleisterin behandelt, er war sehr ruppig und hat mir schon in der Lobby an den Busen gefasst. Die meisten wünschen sich ein Girlfriend-Gefühl. Manche verstehen aber nicht, dass ich mich nicht in sie verliebe. Sie versuchen, meine private Handynummer herauszubekommen, und wollen mich ohne die Agentur treffen. Dabei bin ich ja zu ihnen nur so nett, weil sie mich dafür bezahlen. Ich höre weg, wenn mich etwas stört. Manche geben vorher Wünsche zu meiner Kleidung ab, selbst bei der Unterwäsche ist ihnen wichtig, dass ich Markenware trage. Viele vergessen dabei, dass ich nicht aus ihrer Welt komme. Einer hat mir mal ein 700 Euro teures Halstuch geschenkt. Für mich war das irre viel Geld, für ihn ein kleines Mitbringsel. Ich lebe ja dank des Nebenjobs nicht schlecht. Aber manche verstehen einfach nicht, dass ich mir nicht mal eben eine Birkin Bag für 8.000 Euro leisten kann. Und wenn ich ihnen erzähle, dass ich in meinem normalen Job nur 1.300 Euro im Monat verdiene, sind sie oft geschockt.

Wenn die Escort-Dame eine Analyse der Reichen schreiben sollte, dann klänge ihre These wohl wie eine Diagnose: Realitätsverlust. Tatsächlich existieren in Deutschland heute verschiedene Realitäten nebeneinander. Die Reichen scheinen sich in ihrer Wirklichkeit von den anderen sozialen Schichten weiter zu entfernen. Wie kommt das?

„Viele realisieren nicht, was außerhalb ihrer Welt der Standard ist“

Die Lehrerin

Nicht weit vom Bodensee entfernt, umgeben von Weinbergen, liegt Deutschlands bekanntestes Elite-Internat Schloss Salem. 36.000 Euro Schulgeld im Jahr plus rund 250 Euro Unterhalt im Monat zahlen Eltern, damit ihre Kinder hier zur Schule gehen dürfen. Durch einen Torbogen, vorbei an einer Wächterin, gelangt man aufs Schlossgelände. So stellt man sich ein Internat nach der Lektüre von Harry Potter vor: Im Schlossgarten blühen Rosen, zwischen Bäumen schweben Hängematten.

Im Erdgeschoss liegt das Büro von Dagmar Berger, die seit 36 Jahren als Lehrerin in Salem tätig ist. Als Aufnahmechefin lernt sie jeden Neuankömmling kennen, bevor er eingeschult wird, und führt Gespräche mit den Eltern. Nicht alle sind reich. In Salem leben heute auch Kinder aus wohlhabenden Akademikerfamilien, einige sind Stipendiaten. Und weil die Schüler sozial gemischt sind, erkennt Dagmar Berger die Unterschiede.

Ich habe das Gefühl, vermögenden Schülern fällt es heute schwerer als früher, zu akzeptieren, dass wir hier ein Leben auf normalem Niveau führen. Die Regeln sind: Immer drei oder vier müssen sich ein Zimmer teilen, alle müssen den Küchendienst übernehmen, und jeder bekommt alle zwei Wochen bis zu 50 Euro Taschengeld, je nach Alter. Schon früher bekamen manche noch Schwarzgeld obendrauf, aber heute haben die meisten sogar eine Kreditkarte. Mein Eindruck ist: Die sehr Vermögenden, die sich das Geld selbst hart erarbeitet haben, halten ihre Kinder kürzer als andere Reiche. Wenn es um die Zimmerverteilung geht, sind sie zum Teil sehr bescheiden. Es gibt aber auch Schüler, die in ein Nest hineingeboren wurden und sich nie Gedanken um Not machen mussten. Die einfach nach Paris fliegen, um sich dort drei verschiedene Abschlussball-Kleider schneidern zu lassen, oder die zum Abitur einen Sportwagen vors Schloss gestellt bekommen. Sind sie schlecht in Englisch, dann schicken ihre Eltern sie zum Feriensprachkurs nach London oder bestellen einen Privatlehrer. Und auch die Praktikumsplätze bekommen sie über Kontakte.

Wird ein Mensch reich geboren, vererben seine Eltern ihm auch soziales Kapital. Neben dem Kontostand ist es vor allem das, was die Schicht der Vermögenden heute von anderen sozialen Klassen trennt. So machte die amerikanische Soziologin Elizabeth Currid-Halkett diese Beobachtung: „Früher konntest du ökonomisch arm sein, aber ein sozial reicher Bohemien. Oder ein ungebildeter Neureicher.“ Heute sei das anders. „Die Reichen gehen an die teuersten Unis, sie leben im Ausland und spielen Geige.“ In den USA gäben die Reichen so viel Geld für Schulen und Universitäten aus, dass die unteren Schichten gar nicht mehr mithalten könnten. In Deutschland ist das Studieren zwar viel günstiger als in Amerika, doch auch hier werden arme und reiche Kinder unterschiedlich gefördert.

Schon der Franzose Pierre Bourdieu, Sohn eines Postangestellten und einer der einflussreichsten Soziologen des 20. Jahrhunderts, ging davon aus, dass vor allem der „Habitus“ soziale Schichten trennt. Kinder von Reichen sprächen anders, träten anders auf, trieben andere Sportarten und pflegten einen großzügigeren Lebensstil. Die Vermögenden haben nicht nur ein anderes Leben. Sie entwickeln auch eine eigene Kultur. Und einen eigenen Blick auf die Welt. Die Lehrerin sagt:

Manchmal glaube ich, viele der wohlhabenden Schüler nehmen gar nicht wahr, wie hart ihre Großeltern arbeiten mussten, um das Vermögen aufzubauen. Immer das neueste iPad und Urlaub im eigenen Ferienhaus, das ist für manche Schüler normal. Bei mündlichen Prüfungen fällt mir das auf. Einmal ging es um den Durchschnittslohn, da dachte ich: Das ist einfach nicht deren Realität. Einige unserer Schüler helfen zwar sehr engagiert im Flüchtlingsheim oder anderen sozialen Einrichtungen. Dort lernen sie ganz andere Umstände kennen. Aber ich glaube, viele realisieren nicht, was außerhalb ihrer Welt der Standard ist.

Wie Menschen ihre Umwelt wahrnehmen, lässt sich weitaus schwerer erforschen als Wohnlage oder Schulqualität. Umfragen in Großbritannien zeigen, dass viele Spitzenverdiener keine Vorstellung mehr von der tatsächlichen Armutsgrenze in ihrem Land haben. Gleiches gilt für den Durchschnittslohn. In den Jahren 2011 und 2012 befragte der Soziologe Michael Hartmann von der TU Darmstadt gemeinsam mit dem Wissenschaftszentrum Berlin Unternehmenschefs nach ihrem Blick auf die Gesellschaft. Während die meisten Arbeiterkinder, die es bis nach oben geschafft hatten, die Gesellschaft als ungerecht empfanden, erschien sie den meisten Chefs aus wohlhabendem Elternhaus als gerecht.

Sehr unterschiedlich dachten diese Unternehmenschefs auch über die Ursachen der Finanzkrise im Jahr 2008: Die Mehrheit der Befragten aus Arbeiterfamilien gab den Banken die Schuld. Diejenigen aus großbürgerlichen Familien sahen sie hingegen beim Staat und seinen Schulden. „Viele Reiche engagieren sich dafür, die Armut zu bekämpfen“, sagt Branko Milanović, der als Ökonom der Weltbank mehr als 30 Jahre zu Ungleichheit forschte. „Mehr Gleichheit wollen die meisten Reichen aber nicht.“

Im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung wurden 2017 erstmals Hochvermögende zu ihren Einstellungen befragt. Die Umfrage ist nicht repräsentativ. Es fällt aber auf: 99 Prozent der Befragten waren der Ansicht, bereits genug an den Staat abzugeben. Statt Steuern zu zahlen, würden sie lieber spenden und selbst bestimmen, wer von ihrem Geld profitiert. Kann es sein, dass das Verhältnis der Vermögenden zum Staat gestört ist?

„Viele Leute glauben, Geld löse alle Probleme“

Der Anwalt

Am Eingang eines Büros in der Münchner Innenstadt öffnet sich eine schwere Holztür. Sie führt in eine Welt, zu der die meisten Menschen keinen Zutritt haben: in die Kanzlei Pöllath & Partners, spezialisiert auf Private Equity, auf das Vermögen von Privatpersonen. „Reich“ bedeutet in dieser Kanzlei: ab 100 Millionen Euro aufwärts. Aber „reich“ ist ein Wort, das in diesen Räumen nicht fällt. Es hat in Deutschland einen negativen Klang, zumindest in den Ohren der Vermögenden. Sie mögen es nicht, so bezeichnet zu werden. Als wohlhabend möchten sie gelten, das gilt als sozial verträglicher.

In einem Konferenzraum mit verspiegelten Lampen sitzt Stefan Viskorf. Auch er verrät nur Kundennamen, die schon öffentlich bekannt sind, wie den der Verlegerfamilie Bertelsmann oder des Einzelhandelsunternehmens Tchibo. Welche Beziehung seine Kunden zu ihrem Geld haben – kaum einer weiß das so genau wie Viskorf. Sein Job ist es, ihr Vermögen zu schützen. Er berät die Klienten bei Investitionen, überprüft ihre Steuererklärungen, schreibt ihre Testamente, Ehe- und Erbverträge. „Für manche bin ich auch der Kummerkasten“, sagt er. Sehr viele Leute, mit denen sie wirklich ganz offen reden können, hätten die meisten Wohlhabenden ja nicht.

Viele Leute glauben, Geld löse alle Probleme. Oft habe ich nach einem Telefongespräch mit meinen Mandanten aber das Gefühl: Geld macht auch nicht glücklich. Natürlich sind nicht alle gleich. Aber die Vermögenden haben Probleme, über die man normalerweise nie nachdenkt: Es gibt Kinder, die sich zurückgesetzt fühlen, weil ein anderer Geschäftsführer wird. Geschwister, die sich bis aufs Blut streiten, weil einer den besseren Dienstwagen fährt oder mehr über die Geschäfte weiß. Wenn es um ihr Geld geht, hegen viele Vermögende in Deutschland inzwischen ein dynastisches Denken. Das ist wie mit besonderen Uhren, bei denen sie sagen: Die bewahre ich für die nächste Generation auf. Für die meisten meiner Mandanten ist ihr Vermögen das, was für andere Omas Häuschen ist. Sie versuchen alles, um es zu schützen vor Gläubigern. Damit sie keine Begehrlichkeiten wecken, erzählen manche nicht einmal ihrem eigenen Nachwuchs, wie viel sie wirklich besitzen. Andere sagen: Das gehört uns gar nicht, wir verwalten es für die Familie. Und in die Testamente schreiben wir grundsätzlich, dass die Kinder erst ab dem 27. Lebensjahr Zugriff auf das Erbe bekommen sollen.

Dass die Vermögenden ein anderes Leben führen als die meisten anderen Menschen, hat auch damit zu tun, dass sie andere Probleme haben als der Durchschnitt. Stefan Viskorf findet die Begründung auf einer Namensliste, die er vor sich auf den Konferenztisch legt. Es ist ein Ranking des manager magazins mit dem geschätzten Vermögen der 500 reichsten Deutschen. Viele, die hier aufgelistet sind, verbindet man mit bekannten Produkten: Kühne, Schaeffler, Porsche. „Fast alle Reichen in Deutschland sind Familienunternehmer“, sagt Viskorf.

In den USA ist neuerdings die Rede von den working rich, einer Plutokratie, die durch Jobs bei IT-Unternehmen oder Hedgefonds zu Geld gekommen ist. In Deutschland verhält es sich anders. Zwar gibt es auch hier Spitzenmanager oder Fußballspieler, die viele Millionen Euro im Jahr verdienen, die Zahl der Einkommensmillionäre steigt seit Jahren. Aber so vermögend wie Viskorfs Kunden kann man als Angestellter in Deutschland kaum werden. Diejenigen, die hierzulande mehr als zweistellige Millionenvermögen haben, sind fast alle Unternehmer – oder aber: deren Erben.

Die meisten großen Unternehmen in Deutschland haben eine lange Tradition. Manche gibt es seit dem 17. Jahrhundert, viele von ihnen wurden bald nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet. Doch seit den 1980er Jahren kamen nur noch wenige bedeutende Firmen dazu. Wenn nicht gerade eine neue Branche entsteht, gelangt auf die Liste des manager magazins heute so schnell kein Gründer mehr. Nach ganz oben zu kommen ist schwerer geworden.

Der Weg nach unten aber auch. Während in den USA seit dem 19. Jahrhundert viele Menschen einen großen Teil ihres Reichtums vor ihrem Tod spenden, bleibt er in Deutschland meist in der Familie. „Wie der Reichtum in Deutschland weitergegeben wird, erinnert an eine feudale Struktur“, sagt Jens Beckert vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Wer reich geboren ist, bleibt meist auch reich. „Das liegt auch an der deutschen Erbschaftsteuer“, sagt Beckert.

Während Privatvermögen ab einer Million Euro auch im engsten Familienkreis versteuert werden muss, blieb Betriebsvermögen in den letzten Jahren praktisch steuerfrei, wenn der Erbe die Nachfolge im Unternehmen antrat. Dieses Gesetz musste die Bundesregierung 2016 – dazu aufgefordert vom Bundesverfassungsgericht – überarbeiten. Viel hat sich allerdings nicht geändert. Auch in Zukunft dürfte es vermögenden Unternehmern daher gelingen, ihr Erbe steuerfrei weiterzugeben. Vor dem Gerichtsurteil, so Beckert, hätten viele Reiche allerdings gefürchtet, die Gesetze könnten verschärft werden. „Da bekamen 300 Minderjährige plötzlich im Schnitt zwischen 300 und 400 Millionen Euro geschenkt.“

Was dieses Vermögen mit den Erben macht, das erlebt der Anwalt Viskorf Tag für Tag.

Unterschiede zwischen Armen und Reichen hat es schon immer in Deutschland gegeben

Oft kommen die Eltern zu mir und erzählen mir von ihren Sorgen um die Kinder. Natürlich gibt es auch positive Beispiele. Manche Kinder gehen auf tolle Schulen, absolvieren anspruchsvolle Wirtschaftsstudiengänge im Ausland, aber dann kommen einigen Eltern doch Zweifel, ob sie mit ihrer Persönlichkeit dazu geeignet sind, die Nachfolge im Unternehmen anzutreten. Auf vielen Kindern lastet ein enormer Erfolgsdruck – weil sie selbst sehr ehrgeizig sind oder weil die Eltern das von ihnen erwarten. Wenn es um ihre Rolle in der Familie geht, sind viele Erben sehr sensibel. Sie wissen nicht, wie sie sich neben ihren Eltern und Großeltern definieren sollen. Deshalb machen nicht wenige etwas ganz anderes, werden Künstler oder handeln mit Antiquitäten. Denn sie wissen: Sie können niemals das erreichen, was ihre Großeltern und Eltern aufgebaut haben. Manche werden in Positionen gedrängt, die nicht zu ihnen passen. Andere versuchen, sich krampfhaft zu beweisen: Mit etwas Spielgeld von den Eltern beteiligen sie sich an Start-ups oder gründen selbst ein Unternehmen, teilweise auch sehr erfolgreich. Wieder andere sagen: Wieso soll ich überhaupt arbeiten? Sie fliegen nach New York, machen Party oder spielen Golf. Es sind nicht alle Familien unglücklich. Aber es ist ein ganz großes Glück, wenn man das Vermögen in die nächste Generation bekommt, ohne dass es zu irgendwelchen Verletzungen oder Dramen führt. Wenn die Eltern sagen können: Mensch, mit den Kindern kannst du abends noch ein Bier trinken, ohne dass irgendwelche Spannungen in der Luft liegen.

Wie jemand mit dem Geld umgeht, das er besitzt, hängt von seiner Persönlichkeit ab. Ob jemand sparsam ist oder großzügig, lässt sich nicht verallgemeinern. Doch es macht einen Unterschied, ob man sein Geld selbst erarbeitet hat oder schon reich zur Welt kommt. Werden Kinder in eine Parallelwelt hineingeboren, die mit dem Leben all der anderen Kinder wenig zu tun hat, verändert das ihren Bezug zu Geld und ihre Beziehung zu den normalen Bürgern.

Unternehmer wird man in der Regel mit einer guten Idee – erfolgreich allerdings erst durch Fleiß, Mut und dadurch, dass man für die Idee kämpft. Wer ein Vermögen von ganz unten aufgebaut hat, erinnert sich noch daran wie sein Leben ohne das Geld aussah. Welches Risiko er eingehen musste, was er opfern musste. Die Kinder der Unternehmensgründer haben diese Unsicherheit teilweise noch miterlebt. Viele wurden im Geiste der Eltern erzogen und halfen, das Unternehmen mit aufzubauen. Doch spätestens in der dritten Generation ist der Reichtum „normal“, ebenso sind es die Privilegien, die mit ihm einhergehen. Die Erbengeneration lebt also nicht nur in einer anderen Welt als ihre Altersgenossen. Sie lebt auch in einer anderen Welt als ihre Vorfahren.

In jeder Gesellschaft gibt es unterschiedliche Realitäten, auch die Meinungen unterscheiden sich. Doch wie die Reichen die Welt sehen, ist besonders relevant. Sie haben mehr Macht als andere.

Viele der befragten Dienstleister betonen, dass sich die Vermögenden sehr für die Gesellschaft engagieren. Der Butler erzählt: „Auf Partys und Empfängen werden auch Politiker eingeladen, amtierende und ehemalige Ministerpräsidenten.“ Der Anwalt sagt: „Viele Familienunternehmer sagen ja, dass sie bei einer Vermögensabgabe das Land verlassen werden. Ich denke aber, viele wollen gar nicht weg. Hier sind sie verwurzelt und sehr angesehen.“

Wer sich die Forschungsergebnisse des DIW und anderer Institute anschaut, der stößt auf einen Widerspruch: Reiche in Deutschland sind als Familienunternehmer in ihrer Region verhaftet. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite misstrauen sie dem Staat, der Stadt, dem Landkreis. Auch deswegen betreibt der Verband der Familienunternehmen seit Jahren erfolgreich Lobbyarbeit gegen eine höhere Erbschaftsteuer. Seine Mitglieder wollen sich nicht gängeln lassen von der Gesellschaft, die sie umgibt, der sie sich aber oft fern fühlen. Sich selbst trauen sie meist mehr zu als dem Staat.

Dietmar Hopp ist das Paradebeispiel für einen erfolgreichen und gesellschaftlich engagierten Unternehmer. Er ist einer der Gründer des Softwarekonzerns SAP und ein bekannter Mäzen des Fußballvereins TSG 1899 Hoffenheim, er hat eine der größten privaten Stiftungen Europas ins Leben gerufen, die Bildungs- und Sportprojekte genauso unterstützt wie medizinische Forschung. Über Hopp kann man bedenkenlos sagen: Er macht sich verdient um die Gesellschaft, in der er lebt. Man kann über ihn aber genauso bedenkenlos sagen: Er macht die Gesellschaft, die er fördert, abhängig von seinem Wohlwollen.

Geld und soziales Kapital bieten den Vermögenden neue Möglichkeiten. Sie beeinflussen die Gesellschaft. Als Sponsoren bezahlen einige von ihnen Hörsäle in Universitäten, sie unterstützen Museen oder spendieren Schulen neue Kantinen. Manche Kommunen sind inzwischen auf ihre Unterstützung angewiesen. Die Vermögenden zahlen zwar kaum Steuer, bestimmen aber mit, wie sich die Gesellschaft entwickelt. Man könnte sagen: Statt ein gleichwertiges Mitglied des Staates zu sein, werden manche von ihnen zu regionalen Fürsten.

Der Politikwissenschaftler Armin Schäfer von der Uni Osnabrück fand heraus: Reiche haben mehr politische Macht in Deutschland als andere. Sie nehmen mehr Einfluss auf die Gesellschaft, deshalb richtet sich die Politik stärker nach ihren Wünschen.

Unterschiede zwischen Armen und Reichen hat es schon immer in Deutschland gegeben. Sie lassen sich so rasch auch nicht auflösen. Die entscheidende Frage bleibt aber: Was verbindet die Reichen mit dem Rest der Gesellschaft?

Wenn es stimmt, was die Dienstleister und Wissenschaftler berichten, dann zählen die meisten deutschen Reichen zwar nicht zu einer globalisierten Elite, die sich während ausgelassener Partynächte auf Dachterrassen in New York oder Shanghai mit Kokain berauscht. Viel repräsentativer ist hierzulande der reiche Maschinenbauunternehmer aus Schwäbisch Gmünd, der seinen Urlaub hinter hohen Hecken auf Sylt verbringt und sich fragt, wie er sein Geld vor dem Staat retten kann, um damit die Gesellschaft nach eigenen Wünschen zu gestalten. Eine Gesellschaft, von der er allerdings immer weniger mitbekommt. Und von deren übrigen Bürgern er sich abschottet – im Reich der Reichen.

Emotionen ignoriert man auf eigene Gefahr

NZZ – Eugen Stamm

Über Geld sollte man unbedingt reden – zumindest mit all jenen, denen man es weitergibt. Es geht nicht nur darum, schädlichen Streit zu vermeiden, sondern auch darum, Werte weiterzugeben.

Wer seine Kinder liebt, will ihnen möglichst viel mitgeben. Die Logik, dass mehr auch zwingend besser ist, wird selten hinterfragt. Ist ein Haus nicht besser als keines, sind fünf Millionen nicht besser als bloss eine? Manchmal geht vergessen – weil so viel Energie in die Mehrung des Geldes geht –, dass ein schlecht vorbereiteter Vermögenstransfer eine Familie zu entzweien vermag. «Eltern im Himmel, Nachkommen vor Gericht», sagt ein chinesisches Sprichwort. Julia Friedrichs schreibt in ihrem Buch «Wir Erben», dass in Deutschland um jede vierte Erbschaft von mehr als 100 000 Euro gestritten werde. Roy Williams und Vic Preisser gehen in «Preparing Heirs» davon aus, dass sogar 70% der Vermögenstransfers scheitern, also ungewollt Gelder verloren gehen. Wie kann das möglich sein?

Auswirkungen abschätzen

Je grösser ein Vermögen, desto grösser ist in der Regel auch der Bedarf an Beratung in finanziellen, steuerlichen und rechtlichen Fragen. Wenn manche Familienmitglieder auch noch, wie immer häufiger, in verschiedenen Ländern leben, arbeiten und investieren, werden diese Fragen noch komplizierter.

Für alle technischen Aspekte des Themas Erben stehen gut ausgebildete Berater bereit, die Vermögen zu strukturieren und zu organisieren wissen. Die Fehlerquellen liegen selten bei ihnen. Konflikte entstehen meist dann, wenn emotionale Themen in einer Familie ignoriert werden. Anders gesagt: Ein Anwalt hilft dabei, Testamente ohne Formfehler aufzusetzen. Aber hat man sich auch genügend damit auseinandergesetzt, was die formulierten Bestimmungen bei den Erben auslösen? Es sei unrealistisch, zu erwarten, dass man mit einem Testament die Prioritäten der Erben bestimmen könne, schreiben Williams und Preisser, und ausserdem sei dieses Ansinnen der Einheit der Familie nicht zuträglich. Vom enttäuschten Erben bis zum Kläger ist es nur ein kleiner Schritt.

Eines der schädlichsten Dinge, die ein Elternteil tun könne, sei es, Vermögen ungleich zwischen den Kindern aufzuteilen, schreibt Philip Marcovici in «The Destructive Power of Family Wealth». Es mag Konstellationen geben, wo Sachzwänge dies rechtfertigen, aber dann sollten diese diskutiert werden. Ganz allgemein gilt es, von seinem Recht, Dinge zu bestimmen, nicht in einer einsamen Stunde Gebrauch zu machen, sondern die Aufteilung der Güter mit den Begünstigten zu besprechen.

Grosse Summen zu erben, ist ein Schock, auf den man Menschen vorbereiten muss. Wenn jemand erfolgreich berufstätig ist, vielleicht sogar als Unternehmer, was passiert dann mit seinem Selbstwertgefühl, wenn er aus Kapitalerträgen plötzlich zehnmal so viel verdient? Hat er die nötigen Fähigkeiten und das Verständnis, um das familiäre Vermögen zu bewahren, oder wird er es schnell wieder verlieren? Das mag sich nach Luxusproblemen anhören, wie man sie gerne hätte, aber tatsächlich kann Geld eine grosse zerstörerische Wirkung entfalten. Erben, die offenbar weder mit sich noch mit ihrem Vermögen etwas Gescheites anfangen können, sorgen regelmässig für Schlagzeilen.

Die verbreitete Mentalität, ja, das Tabu, über Geld (nicht) zu reden, ist in diesem Kontext schädlich. Denn auch der Besitzer des zu vererbenden Vermögens macht sich Sorgen: Wird der Reichtum den Kindern ihren Antrieb rauben? Gerade dieser Punkt hat in den USA und in anderen Ländern, in denen kein Pflichtteilsrecht existiert, dazu geführt, dass manche ihren Nachkommen nicht zu viel hinterlassen wollen. Vermögen kann auch paranoid machen: Besuchen die Kinder mich im hohen Alter nur noch des Geldes wegen? Dass solche Gedanken aufkeimen, kann man durch Offenheit im Umgang eindämmen. Wenn allen Erben klar ist, wer wann wie viel bekommt, so schreibt Marcovici, dann kann der Erblasser die letzten Jahre seines Lebens geniessen, ohne dauernd an Geld denken zu müssen – und damit auch die Gefahr verringern, zu Änderungen des Testaments gedrängt zu werden, wenn er gebrechlich und schwach wird.

Family-Governance als Lösung

Von den Familien mit den höchsten Vermögen kann man lernen, wie sie die emotionalen Aspekte anpacken. Angeführt von Beratern in den USA, hat sich eine Disziplin entwickelt, die «Family Governance» heisst. So, wie die Corporate Governance die gute Unternehmensführung zum Ziel hat, will man hier die Geschicke von Familien steuern. Ein brauchbarer deutscher Begriff, unter dem alle dasselbe verstehen, hat sich noch nicht etabliert. Man könnte von einem «Familienkonzil» reden, einer regelmässigen Zusammenkunft aller Familienmitglieder, bei der finanzielle Aspekte diskutiert werden und anderes, was die Familie zusammenhält.

In der Regel leitet ein externer Spezialist diese Treffen. Es geht darum, die Familie anzuleiten, in einem strukturierten, moderierten Prozess. Er soll bei den Anwesenden Verbindlichkeit und Klarheit schaffen über das, was der Einzelne erwarten kann und was wiederum von ihm erwartet wird. Weil solche Treffen Beratern Zugang zur nächsten Generation verschaffen, reklamieren verschiedene Berufsgattungen für sich, dieses Thema zu beherrschen – seien es Anwälte oder Banker –, auch wenn die eingesetzten Methoden eigentlich aus der Psychologie stammen.

Wie das konkret funktioniert, zeigt das Beispiel einer Familie, deren Mitglieder sich mehrmals pro Jahr, auch samstags, in den Büros des Marcuard Family Office in Zürich treffen. Diese Firma betreut mehrheitlich Familien, die mindestens zweistellige Millionenbeträge besitzen. Am Anfang des Prozesses stehe eine Diskussion über Werte, erläutert Jorge Frey, Managing Partner von Marcuard.

Was verbindet die Menschen, ist ihnen Tradition und Sicherheit wichtig oder Innovation und Risiko? Welche Werte hat die Elterngeneration den Söhnen und Töchtern im Umgang mit Geld vermittelt? Dass es wichtig ist, der Gesellschaft etwas zurückzugeben? Oder dass andere auch reich sein könnten, wenn sie nur hart arbeiteten?

Oftmals komme es zu Überraschungen, wenn jemand etwas sage, was die anderen nicht vermutet hätten, und es dann heisse: Ich wurde nie danach gefragt. Es klingt trivial, an einem Tisch über den Stellenwert des Geldes zu reden. Aber um die Frage zu beantworten, wie Geld angelegt werden soll, welche Anlageklassen dem Sicherheitsbedürfnis der Familie entsprechen, sind solche Diskussionen elementar. Die Rolle des Moderators besteht darin, jeder Person eine Stimme zu geben. Man sollte zum Patriarchen oder zur Matriarchin ein gutes und vertrauliches Verhältnis haben, dürfe aber von den anderen nicht als deren Sprachrohr wahrgenommen werden, sondern vielmehr als neutraler Moderater, sagt Frey.

Wie Barbara Hauser, Spezialistin für Family-Governance an einem Vortrag des Europa-Institutes in Zürich erläuterte, umfasst die Family-Governance oftmals auch das Schreiben einer Familien-Verfassung, eines Dokumentes, das in groben Zügen festhält, wo eine Familie herkommt und wo sie hinwill. Es bestimmt aber auch Handfestes, etwa, welche Bedingungen für die Arbeit in einem Familienunternehmen erfüllt sein müssen, ob eingeheiratete Personen an den Familiensitzungen teilnehmen dürfen und zig andere Details.

Noch wichtiger als das Papier an sich sei jedoch sein Entstehungsprozess, sagt Hauser. Die gemeinsame Arbeit der Familie an der Verfassung sei schon ein verbindender Prozess. Häufig, so hat Frey beobachtet, wird der Prozess von der jüngeren Generation angestossen, die meist zahlreicher und auch nicht mehr so eng verbunden ist wie die ältere Generation. Auf jeden Fall dauert so ein Projekt länger; der Beratungsprozess kann ohne weiteres Zehntausende von Franken kosten. Eines ist aber sicher: Wenn man dem Thema Emotionen nicht genügend Beachtung schenkt, dann können Erbstreitigkeiten gewaltigen Schaden anrichten, neben dem dieser Aufwand lächerlich erscheint.

Affluenza: The Psychology of Wealth. Is it true that the pursuit and acquisition of wealth leads to unhappiness?

Psychology Today – Adrian Furnham Ph.D.

It is not entirely clear who invented the term „Affluenza.“ A documentary with that title appeared on American television and the makers then wrote a book with the title. John De Graaf, David Wann and Thomas Naylor then wrote a book in 2001 with the subtitle: The All-Consuming Epidemic. It covers the symptoms, causes and treatment of Affluenza.

They defined affluenza as “a painful, contagious, socially transmitted condition of overload, debt, anxiety and waste resulting from the dogged pursuit of more.” They ended the book with an ironic observation that affluenza is the one disease we can cause by spending less money not more.

In his book Affluenza Oliver James, a British clinical psychologist proposed the following theory: Increasing affluence in a society, particularly where it is characterised by inequality leads to an increase in unhappiness.

The thesis is modern capitalism makes money out of misery. It encourages materialism but leaves a psychic void. The increasing emotional stress of people in the West is a response to the sick, unequal, and acquisitive societies. Just as „dieting makes you fat“ so „retail therapy makes you sad.“ Affluenza is a „rich persons disease;“ a corruption of the American dream.

Affluenza comes from affluence plus influenza: money makes you sick; capitalism and consumerism are recipes for illness. It is a painful, socially transmitted, and highly paradoxical „disease“ that is the result of a false promise. The assertion is that wealth and economic success leads to fulfilment, whereas in effect it leads to an addiction to wealth accumulation and the neglect of personal relationships which are the real source of happiness.

Affluenza is an unsustainable and seriously unhealthy addiction to personal (and societal) economic growth. It is most acute in those who inherit wealth and seem to have no purpose, direction or superego.

The Affluenza thesis suggests that people overshop to feel better about themselves or more secure. It may be a distraction temporarily helping them avoid other important issues. It can be a weapon to express anger or seek revenge. It may also be a vain attempt to hold on to the love of another. It may be a balm used to soothe yourself or repair your mood. It may also be an attempt to project an image of wealth and power.

Affluenza may also be a way of trying to fit into an appearance-obsessed society. Equally it may be a response to loss, trauma or stress. It could be the less evil such as being addicted to alcohol, drugs or food. It could also be a way of trying to feel more in control or finding meaning in life.

The data for the book Affluenza came from interviews. The conclusion is that placing a high value on appearance, fame, money and possessions, leads to emotional distress. It leads to over-consumption, “luxury fever,” alienation and inappropriate self-medicationusing alcohol, drugs and shopping to attempt to bring meaning and satisfaction. James seems to blame many of the problems of modern societies–anxiety, depression, eating disorders, emotional distress, family breakdown, and medication on Affluenza. The emptiness and loneliness many people feel is because they have „traded off“ authentic, genuine and intimate relationships for wealth accumulation and consumption.

The vaccine for the virus is a change in lifestyle, but also a change in society. Thus he attacks advertising which is, in his view, mendacious, misleading and always hyperbolic. He believes women’s magazines are the „Devils work.“ He approves of societies that try to hold affluenza at bay by laws and taxes that increase equality.

The thesis is not new. There are hundreds of religious texts and sermons condemning conspicuous consumption and advocating, what we now call „down shifting.“ Many have argued that materialism leads to a commodification of ourselves and often deprives us of what we most need. The thesis has also been proposed by political thinkers, particularly of the left who have made many attacks on „selfish capitalism;“ Liberal Market-Forces Ideology and the Free Market.

Criticisms of the Affluenza thesis have been harsh and many. The book has been accused of being little more than sermonising, sensationalist journalism,ranting nonsense. A fact-heavy book with a height-weight message. Some reviewers accused the author of being neither familiar with the research that could both back-up and challenge his position, but also be more dispassionate, disinterested and even-handed. He is overly strident about some issues like child-rearing. Worse, he makes a number of propositions for a saner and happier society without sufficient evidence that they would indeed work.

It seems all the modern evils are due to affluenza–from a false sense of entitlement to an inability to delay gratification or tolerate frustration; and from work-aholism to a destruction of the environment. Some have seen the book as little more than a collection of anecdotes about poor little rich boys.

There is also the question about causation: Does social and economic inequality cause emotional distress or the other way around? Inequality itself is evil: but this single factor should be used to explain everything. Other explanations could also be put forwards such as the rise of secular liberalism as opposed to religious faith or moral and intellectual relativism.

Some attacked the inconsistencies in James’ political agenda apart from follow the Scandinavian system. How much state intervention do we need and how much legislation to ensure people have more balanced expectations and employ money in more appropriate ways.

Many accused him of a selected and simplistic reading of his own data. He cherry picks both his statistics and his case studies.

However the thesis of the book has caused enough interest for schools to introduce an Affluenza Discussion Guide with the following sort of questions:

  • Shopping Fever: How often do you shop? Is it recreation for you? Do you bring a list of what you need and follow it or do you shop by impulse?
  • A Rash of Bankruptcies: Have you ever been seriously in debt? What did you do about it? Do you know people who are deep in debt?
  • Swollen Expectations: How do you think new technologies are affecting your life? Do you feel you need to keep up with faster computers and other technologies? Why or why not?
  • Chronic Congestion: Choose a product that you use regularly, and do a “life-cycle analysis” of it–that is, research where it comes from, what it is made of, how long you will use it, and where it will end up.

An important and related issue is the concern with Poor Rich Kids: children from very well-off families who are psychologically deprived. There is no shortage of books written by therapists on the psychology of affluence and the problems it brings.

Jessie O’Neill, a psychotherapist, in her book The Golden Ghetto notes that the “monied class” often find themselves in a “golden ghetto” where this select group are separated from the majority. Children in the golden ghetto get isolated and marginalised from most people in society. They can feel discriminated against by envious others with whom they feel uncomfortable. She describes the idea that affluence is synonymous with happiness as a “persistent and pernicious cultural myth” (p. 50).

O’Neill believes that the psychological dysfunctions of affluence are: absentee, workaholic parents, and distrust of others–and these can easily get passed on. Equally sudden wealth (acquired through inheritance, lottery wins) can create a false sense of entitlement, a loss of motivation and increasing intolerance of frustration. Inheriting money can damage self-esteem, worth and confidence because they are not sure if they could have made it on their own or whether people treat them differently because of their money. They never know „Did I succeed?“ or „Did my money buy success?“ and „Do they love me because of who I am?“ or „because I am rich,” “Is he merely a gigolo after my money?” or “Is this true love?” Indeed society is often highly ambivalent towards the wealthy–exhibiting “wealthism”, and hence the idle rich. There is also abundant evidence of anger, envy and resentment to the rich.

She argues that family wealth founders have a “never enough” mentality that can reflect addictive or compulsive elements. It is also often driven by a narcissistic need to be special.

Poor little rich kids–once made popular by the cartoon Richy Rich–often report „empty childhoods“ with missing parents, a sense of lack of love and low self-esteem. Their special privileges can lead to social and emotional isolation from others of their own age and hence difficulty interacting with them. This can lead to shame. More interaction with surrogate caretakers (tutors, nannies) means they often have problems with personal identity. They cannot identify with their parents or pick up their values and beliefs. They experience a sense of emotional abandonment or worse, emotional incest where the parent gratifies their unmet needs for emotional intimacy at the expense of the child’s needs and emotional security.

Hence isolated and confused children are easily prone to anxiety and depression because of the void many felt being deprived of parental attention, care and love. Also, according to O’Neill (1999) because affluent children have so little “healthy frustration” and setbacks as well as having most experiential and material desires fulfilled they develop unrealistic expectations as well as a lack of personal accountability. This can lead to the „perennial child“ syndrome. As a consequence they seem very poor at forming, maintaining and thriving in intimate relationships.

Financial disparity can lead to many relationship issues. The most well known and acceptable is rich men having trophy wives. It is more problematic for a woman who has great wealth. O’Neill argues that rich children feel guilt but particularly shame when they realise how many poor people there are. Their coping strategies are either to donate large sums to charity or “shut out” poor people from their lives who remind them of their wealth. Rich people do not understand the cause of their discontent and disconnect because of the myths surrounding money. Hence they project or displace their feelings of anger, resentment and fear onto others, so jeopardizing having healthy relationships which reduces that shame “strategies to hide wealth are often unconscious efforts to keep feelings of shame at bay” (p. 151). Money can be a tool of humiliation both to those who don’t have it and those that do.

As a consequence O’Neill (1999) has various recommendations to help rich children from developing full-blown Affluenza:

Reduce the emphasis on externals (appearance, possessions, achievements) and make the home environment accepting, supportive and eager to reward uniqueness. Dismantle the false sense of entitlement. Children must not feel special, deserving and entitled to anything they want.Teach gratification delay and the ability to tolerate frustration. Impatience and demands for instant gratification need to be controlled. Children need to experience and know how to handle boredom, disappointment and failure. Diffuse affluent cultural and family expectations of getting ever richer, keeping the dynasty alive. Separate money and love. Money should never be a substitute for love and attention

De Graaf, J., Wann, D., & Naylor, T. (2001). Affluenza. San Fancisco: Berrett-Koehler

Furnham, A. (2014). The New Psychology of Money. London: Routledge

James, O. (2007). Affluenza. London. Vermilllion

O’Neill, J. (1997). The Golden Ghetto. Wisconsin: Affuenza Project